Macht hat einen schlechten Ruf und ist gleichzeitig attraktiv. Warum das so ist, wie man Machtmissbrauch erkennt und wie man ein "guter Chef" sein kann, erklärt Psychiater Michael Lehofer. "Macht verheißt grundsätzlich die Möglichkeit, Autonomie zu erlangen," sagt der Experte.
Grundbedürfnis. Eigenständigkeit sei ein Grundbedürfnis von Menschen. "Allerdings kann es passieren, dass die Autonomie des einen, die des anderen einschränkt. Menschen, die Machtgehabe an den Tag legen, machen sich vor, mehr Autonomie zu besitzen, als sie eigentlich haben".
Typisch menschlich. Warum hat jemand überhaupt mehr Macht als der andere? "Macht hat mit sozialer Dominanz zu tun und entspringt der Tatsache, dass die menschliche Spezies in Gruppen funktioniert", erklärt Lehofer. In einem Team müsse die Individualität des Einzelnen reguliert werden. "Ohne Macht gibt es keine Führung. Aus dieser Sicht kann man sie ganz wertfrei als menschliches Sozialphänomen betrachten". Macht ist also typisch menschlich.
Wie Macht entsteht. Wie kommt Macht dann zu ihrem schlechten Ruf? "Um zu verstehen, wie soziale Macht entsteht, muss man bedenken, dass Kinder im Rahmen der Erziehung einen Identifikationsprozess durchmachen", sagt der Experte. "Im Rahmen dessen gewöhnen sie sich individuelle Eigenschaften ab und nehmen statt dessen angepasste Verhaltensweisen an. So gesehen führt Erziehung zu Entfremdung". Auch die liebevollste Erziehung sei ein Prozess, der nicht ohne psychische Gewalt wie etwa kleine Erpressungen auskommt. Die in der Kindheit wesentliche Neigung des Menschen, sich zu identifizieren, nützen später Machthaber aus - autoritäre Ehepartner, Chefs oder auch Diktatoren.
Druckausübung. Lehofer dazu: "In jedem Fall spielt Druckausübung eine große Rolle. Angst motiviert die Neigung des Menschen, sich zu identifizieren. Darum wird von autoritären Chefs nicht lange herumgefackelt, wenn bei einem Mitarbeiter Illoyalität vermutet wird. Der Verdächtige ist um einen Kopf kürzer, so schnell kann er gar nicht schauen".
Gefährlich. Deshalb ist es für die Mitarbeiter gefährlich, sich nicht mit dem Chef zu identifizieren und es scheint, als würde der Mitarbeiter manchmal mehr an den Chef glauben als er selbst. "Er kann ja keinen angstfreien Seitenblick riskieren".
BIRGIT PICHLER