Über das Thema Suizid wurde lange geschwiegen. Aus Scham, aus der Angst vor Nachahmern, aus Unsicherheit. Nun sagen Sie: Man muss darüber reden. Warum?
HERWIG OBERLERCHNER: Weil die richtige Berichterstattung auch einen positiven Einfluss haben kann – Stichwort: Papageno-Effekt. Artikel über Betroffene, die Krisensituationen konstruktiv bewältigen konnten, haben einen positiven Effekt auf gefährdete Menschen.

Immer wieder gibt es das Gerücht: Kärnten hat die meisten Suizidfälle. Stimmt das?
Ja, leider. Gemessen an der Bevölkerungszahl stimmt das. 2018 haben in Österreich 1209 Menschen Suizid verübt, in Kärnten waren es 111 Menschen, davon 90 Männer. In den Jahren zuvor waren die Größenverhältnisse ähnlich. Wir haben nun noch weit genauere statistische Daten, auch, um in der Prävention wirksamer zu sein.

Wer ist besonders gefährdet?
Männer zwischen 45 und 59 Jahren. Sehr häufig gibt es bei ihnen psychosoziale Probleme, sie sind arbeitslos, vereinsamt oder es gibt innerfamiliäre Schwierigkeiten. Auch unbehandelte psychische Erkrankungen und Alkoholkrankheiten kommen sehr häufig vor. Männer gehen traditionell weniger gerne zum Facharzt für Psychiatrie oder zum Therapeuten, sie sind nicht bereit, Hilfsangebote anzunehmen. Das erschwert die Situation. Die zweite Hochrisikogruppe sind alte Menschen. Hier sind es wiederum Männer, wobei Erkrankungen oder eine Verschlechterung der Versorgungssituation hier Verstärker sind. Auch über die Arten des Suizides, die geografische Verteilung und viele andere Parameter haben wir Daten. So können wir nun noch gezielter Risikogruppen erreichen, zu denen auch die oft zutiefst betroffenen Angehörigen zählen. Gemeinsam ist allen Suizidenten nicht die Sehnsucht nach dem Tod, sondern der Wunsch nach Veränderung und nach Linderung des Leidensdrucks.

Wie kann man helfen? Und vor allem wann?
Immer, wenn man das Gefühl hat, man müsste helfen. Besser einmal zu viel jemanden auf seine Situation ansprechen, als sich hinterher Vorwürfe machen.

Herwig Oberlerchner, Primarius
Herwig Oberlerchner, Primarius © Kabeg

Wie spricht man diese Sorge an?
Einfach und offen. Gehen Sie zu dem Menschen hin und sagen: Ich mache mir Sorgen um dich. Wie geht es dir? Kann ich dir helfen. Auch ganz offen ansprechen, dass man sich sorgt, jemand würde Suizid verüben. Wenn man aus Schamgefühl zurückhaltend ist, hält man keine Katastrophe auf. Wer an Suizid denkt, sendet Signale an seine Umgebung, sie ziehen sich zurück, werden unnahbar für ihre Umgebung. Man muss diesen Menschen sagen, dass es Hilfe für sie gibt. Es gibt Psychologen, den Krisendienst, die Telefonseelsorge, die Abteilungen in den Krankenhäusern, es sind Menschen mit Erfahrung da, die helfen können.

Reicht das vorhandene Angebot?
Wir wollen niederschwelliger werden. Viele suizidale Menschen haben kein Umfeld, sind einsam. Hier müssen wir mit Ambulatorien, die im regionalen Strukturplan vorgesehen sind, leichter erreichbar werden. Die Krankheiten und die Krisen, die zu einem Suizid führen können, sind medikamentös oder durch Therapien sehr gut behandelbar.