Von einer "friedlichen, gewaltfreien Disruption" war die Rede, als 250 Aktivisten der Umweltgruppe "Extinction Rebellion" (XR, Deutsch: Rebellion gegen das Aussterben) die Wiener Salztorbrücke einnahmen.

60 Städte von Aktionen betroffen

Das friedliche Verhalten der XR-Aktivisten lieferte der Polizei keinen Anlass zur Intervention – und auch der Verkehr blieb von der Blockade weitestgehend unbeeinflusst. Schon haariger dürfte die gestern gestartete Blockade des Londoner City Airport sein. Jüngst waren in der britischen Hauptstadt 500 Manifestanten verhaftet worden. Protest auch in Berlin, hier wurde das Areal rund um den Potsdamer Platz besetzt. Ähnliche Bilder in Rom, Amsterdam oder Paris – über zwei Wochen sind derartige Aktionen in 60 Städten in aller Welt geplant.



Was aber steckt nun hinter der Umweltbewegung, die ein Umdenken beim Klimaschutz einfordert – und dabei auf gewaltfreie, aber recht kompromisslose Aktionen setzt? Ist es bloß eine Verlagerung der "Fridays for Future"-Klimastreiks auf andere Wochentage? Ist es das Mobilmachen von klimabewussten Menschen, die über den schmalen eigenen Tellerrand hinausschauen und einen weltweiten Veränderungsprozess zum Besseren einleiten wollen? Und welchen Nährwert soll die Sache am Ende haben?



XR sieht sich als weitere Spielart auf der mittlerweile beständig laut erklingenden Klaviatur des Klimaprotestes. "Friedlichen Ungehorsam" nennt es die bewusst dezentral aufgebaute und von Rebellen aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten unterstützte Bewegung, die ihren Ausgang im Jahr 2018 in Großbritannien nahm. Im April 2019 war XR (laut Eigenaussage) bereits auf sechs Kontinenten und in 49 Ländern mit 331 Ortsgruppen vertreten – sieben davon auch in Österreich.

Blockade des Londoner City Airport
Blockade des Londoner City Airport © (c) APA/AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS



In Berlin holte man während einer Kundgebung die nicht unumstrittene NGO-Kapitänin Carola Rackete auf die Bühne – sie teilte heftigst aus: "Nach all den jahrzehntelangen Petitionen und Demos verurteilt die Untätigkeit der deutschen Regierung Menschen überall auf der Welt und zukünftige Generationen zum Tode durch unterlassene Hilfeleistung." Dadurch, dass die deutsche Bundesregierung die bislang nicht umgesetzten Klimaziele senkt, richte sie zusätzlichen Schaden an.



Maximal öffentlichkeitswirksame Aktionen seien "das letzte Mittel, das gesetzestreue, demokratisch gesinnte Bürgerinnen und Bürger haben, um auf einen groben Missstand hinzuweisen. So wurde ja auch das Wahlrecht für Frauen erkämpft", betont eine Sprecherin der österreichischen Sparte der weltweiten Bewegung (siehe Interview). Als Initialzündung gilt der 17. November 2018, der erste von XR ausgerufene "Rebellion Day" in London. Damals blockierten 6000 Demonstranten wichtige Brücken über die Themse.

"Friedlicher Ungehorsam" als Leitbild
"Friedlicher Ungehorsam" als Leitbild © (c) APA/AFP/ISABEL INFANTES

"Wir versuchen, eine Alternative zum allgegenwärtigen 'Blame-Game' aufzuzeigen", heißt es von XR in Wien: Gemeint ist damit eine spürbare Veränderung in einer Welt, in der die diesbezügliche Verantwortung von der Politik nach wie vor rundum gereicht wird. Zentrale Forderung ist echtes Mitspracherecht der Bevölkerung bei Maßnahmen gegen den drohenden Klimakollaps. Kompromisslos, ja überaus mutig ist es, eine Netto-Null bei Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2025 einzufordern. Zudem solle von der Politik über das wahre Ausmaß der ökologischen Katastrophe informiert werden.

"Unkooperative Krustentiere"

Nicht überall stoßen der Stil und die Gangart von XR auf ungeteilte Zustimmung: Der bislang eher nicht durch grüne Politik aufgefallene britische Premierminister Boris Johnson etwa ließ wissen, die Aktivisten sollten mit ihren "nach Hanf riechenden Biwaks" die Hauptstadt verlassen. Sicherheitsleute hätten ihn vor "unkooperativen Krustentieren" in den Straßen gewarnt. Den Protest mit dem Verdacht der "Verschwörung zur Erregung öffentlichen Ärgernisses" abzutun, dürfte indes doch zu kurz greifen.

Klar ist, dass Klimaschutzaktionen, die in den letzten Jahrzehnten bestenfalls periodisch hochkochten, mittlerweile Alltagssymptome wurden. Ob dies der Sache hilft oder eher kontraproduktiv ist, weil sich die öffentliche Wahrnehmung dadurch abwetzt, ist freilich eine grundlegende Frage, der sich auch XR wird stellen müssen.