Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) plädiert für „Öffnungen mit Hirn“. Fordern auch Sie kluge Lockdown-Lockerungen?
RENATE ANDERL: Es gibt ganz viele Menschen, die nicht mehr wissen, wie es weitergeht. Wir müssen den Menschen wieder Perspektiven geben und klar sagen, was als Nächstes kommt. Ja, wir müssen schauen, wo man am ehesten lockern kann – das sollte man schrittweise tun.

Wo sehen Sie am ehesten Möglichkeiten zu Öffnungen?
Es gibt kleine Schritte, die man setzen kann, etwa bei körpernahen Dienstleistungen wie Friseuren oder Masseuren, mit Maßnahmen zur Vermeidung von Infektionen. Es geht darum, dass die Regierung es rechtzeitig sagt: Wir brauchen Planbarkeit – und einen Lichtblick.

Könnte auch der Handel gesichert aufsperren?
Viele halten sich an die Regeln. Apotheken und Trafiken halten offen. Warum soll nicht auch das Schuhgeschäft aufsperren, wenn man Schritte setzt, um Infektionen zu vermeiden?

Mit der Forderung nach einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent sind Sie abgeblitzt. Ist es Zeit einen neuen Anlauf?
Es ist jetzt dringend notwendig, für die nächste Zeit das Arbeitslosengeld zu erhöhen, um den Menschen zu zeigen: Ihr geht nicht unter.

Orten Sie Bewegung bei Neo-Arbeitsminister Martin Kocher?
Positiv zu werten ist, dass wir zwei Mal die 450 Euro bekommen haben, 150 Euro pro Monat. Die Arbeitslosen dürfen aber nicht Bittsteller werden. Wir brauchen für die nächsten Jahre auf jeden Fall eine Erhöhung. Wenn wir wieder öffnen – wer konsumiert dann? Es ist der falsche Weg, hier zu sparen.

AK-Präsidentin Anderl im Interview
AK-Präsidentin Anderl im Interview © (c) Hannes Krainz

Eine dritte Einmalzahlung würden Sie nicht ablehnen?
Natürlich nicht. Aber wir brauchen eine längerfristige Garantie.

Experten rechnen mit einer enormen Pleitewelle. Bereits jetzt sind eine Million Menschen arbeitslos oder in Kurzarbeit.
Wir brauchen die Kurzarbeit bis in den Herbst hinein und eine sehr rasche Beschäftigungsoffensive. Die 700 Millionen Euro der angekündigten Corona-Arbeitsstiftung hätten besser eingesetzt gehört, jetzt verschwimmt das Geld im AMS. Wenn ich so etwas auf die Beine stelle, muss ich die Leute abholen und brauche eine Zielrichtung.

Was sind Ihre Vorgaben für eine Verlängerung der Kurzarbeit?
Darüber wird zu reden sein. Ein Beispiel: Eine Kellnerin in der Stadthotellerie, die seit März in der Kurzarbeit steckt, hat bei 2000 Euro Monatseinkommen fast 10.000 Euro verloren, wenn sie zuvor Überstunden machte und Trinkgeld bekommen hat. Wir brauchen Kontrollen und müssen, falls notwendig, die Finanzpolizei einsetzen.

Mit der Homeoffice-Einigung sind Sie rundum zufrieden?
Uns war ganz wichtig, dass es freiwillig ist. Auch der Unfallversicherungsschutz war uns sehr wichtig. Die steuerliche Befristung bis 31. Dezember 2023 gefällt uns aber nicht.

Sie fordern statt der Millionärssteuer die „Corona-Vermögensabgabe“. Wer soll die bezahlen?
Die, die’s haben.

Wie viel?
Man muss es sich ansehen. Wenn ich manchen ein Prozent wegnehme, befristet für die nächsten paar Jahre, bin ich mir nicht sicher, ob die es merken. Das tut niemandem weh.

Wenn Sie nur denen was wegnehmen, die nichts merken, wird nur wenig dabei herauskommen.
Wenn ich bei den Milliardären ansetze, kommen trotzdem etliche Millionen raus.

In Coronahilfen flossen 31 Milliarden, Millionen reichen da nicht.
Mit einer Maßnahme können Sie das nicht ausgleichen. Aber ein Teil der Millionäre ist ja gar nicht so abgeneigt, mehr zu zahlen, um aus der Krise rauszukommen.

Hat die Krise der Sozialpartnerschaft gutgetan?
Ja. Vorher hat die Sozialpartnerschaft nicht funktioniert. Jetzt funktioniert sie, gemeinsam mit der Bundesregierung.

Rot und Türkis näherten sich einander an. Schließen Sie ein Comeback der Großen Koalition aus?
Nein.

Aber würden Sie sich eine Große Koalition wünschen?
Ja. Große Koalitionen haben in diesem Land immer viel Gutes bewegt.