Deutschland will sein Einweg-Pfandsystem 2021 erweitern, etwa auch auf Saftflaschen. In Österreich tobt eine Schlacht darum, ob man Einwegpfand überhaupt einführt. Bedeutet die Entscheidung in Deutschland auch etwas für uns?

CHRISTIAN ABL: In Österreich wird gerne schnell einmal behauptet, wie super hier alles funktioniert, sogar, dass sich doch die Deutschen einmal ein Beispiel daran nehmen könnten. Tatsache ist, dort werden jetzt schon fast die von der EU vorgegebenen Quoten für 2025 erreicht, (2025 muss die Hälfte der Plastikabfälle rezykliert werden, Anm.). Wir sind bei 25 Prozent. Die Vorstellung, die Quoten in Österreich ohne Pfand mit mehr Sammeln zu erreichen, ist völlig illusorisch, wobei zudem niemand die Kosten für das zusätzliche Sammeln nennt. Und auch um das Weiterfunktionieren des gelben Sacks braucht sich keiner Sorgen machen. Ich bin mir sicher, gelber Sack und gelbe Tonne werden weiter funktionieren, genauso wie in Deutschland.

Wie hoch schätzen Sie die Chancen jetzt ein, dass die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler sich gegen den Widerstand vor allem von Wirtschaftskammer und Handelsverband durchsetzt?
Bei mindestens 90 Prozent.

Warum?
Weil es keine Alternative gibt. Es gibt entweder nur ein Ja oder ein Ja, aber später. Dann sieht man spätestens Ende 2021, dass hier immer noch keiner neue Sortieranlagen baut und in vielen Ländern um Österreich ein Pfand eingeführt wird. Gesammeltes Material zu exportieren, das kann sicher nicht im Sinne des Erfinders sein.

Was ist denn generell das größte Problem beim Kunststoff-Recycling in Österreich?
Uns fehlen modernste Kapazitäten für das Sortieren. Es hilft ja nichts, wenn man sich beim Recyceln nur ein Feigenblatt umhängt, tatsächlich aber Down-Cycling betreibt. Wenn ich Gartenzwerge oder Blumentöpfe aus dem Kunststoff machen will, ist die Sortenreinheit egal. Macht man es richtig, wie die EU das will, wird aus einer Flasche wieder eine Flasche oder aus einer Folie wieder eine Folie. Dann muss ich hochwertigst sortieren. Österreich steht mit diesem Problem aber nicht allein da, weil Europa jahrzehntelang enorme Mengen nach China exportiert hat.

Dieser Weg ist versperrt, weil China unser Plastik nicht mehr will. Jetzt heißt es einerseits, in Europa gibt es zu wenig verfügbare Recyclate. Laut einer anderen Aussage gibt es zu wenig Nachfrage nach recycelten Kunststoffen. Wie soll man sich da auskennen?
Die Kreislaufwirtschaft muss sich erst komplett neu erfinden. Noch haben wir leider viel zu wenig Nachfrage nach Recyclat. Das ist ein echtes Problem, Corona und der niedrige Ölpreis haben das verschärft. Richtig große Player finden trotzdem oft nicht genug Menge in der Qualität, die sie brauchen.

Ein großer Produzent von Putzmitteln und Körperpflegeprodukten setzt längst Recycling-Plastik ein. Der sagt, es geht bei den Kosten um wenige Cent pro Flasche.
Bei rPET, also Recycling-PET, liegt der Preis pro Tonne bei 1400 bis 1500 Euro. Bei Neuware aus Rohöl um die 800 bis 900 Euro. Ein Pionier mit einer starken Marke preist das ein. Die anderen steigen wohl erst bei Anreiz oder Druck um. Auch vom Konsumenten. Ich vergleiche die aktuelle Situation gerne mit dem Altpapiermarkt in den 1980er Jahren. Damals hat man extra das graue Papier gekauft, um zu zeigen, wie umweltfreundlich man ist. Jetzt müssen wir die Menschen dafür gewinnen, dass sie in der Anfangsphase auch Waschmittelflaschen kaufen, die nicht blendend weiß sind. Früher oder später wird das dann wieder gelingen.

Die EU macht doch überall klare Vorgaben. Wo und wie sollen Produzenten einen Beitrag leisten?
Die EU will eine Mechanik einführen, die sich Öko-Modulation nennt. Ein schrecklicher Begriff. Die Gebühren für alle in Verkehr gebrachten Verpackungen werden gestaffelt. Noch sind die Tarife gleich, egal ob jemand seine Limonade in eine sehr gut wiederverwertbare PET-Flasche füllt oder ob ein Joghurtbecher gar nicht recycelbar ist. Künftig zahlt der Limoproduzent viel weniger, der Joghurthersteller viel mehr. In Deutschland wird dazu gerade ein Gesetz geplant. Dort geht im Moment viel ab, eine ganz andere Dynamik als in Österreich.

Lässt sich das erklären?
In Österreich wird gerade komplett blockiert seitens der Wirtschaftskammer, der ARA (Abfall Recycling Austria, Anmerkung) und der ÖVP. Auf der anderen Seite steht erstmals eine grüne Umweltministerin Leonore Gewessler. Dieses Ministerium war immer in ÖVP-Hand, und jetzt denken hier Menschen von ganz oben weg ganz anders. In Deutschland sagt Angela Merkel schon seit längerer Zeit, wir wachsen durch Ökologisierung. Dort sieht man das als positiven Faktor, hier als Behinderung.

Ist es denn keine Bürde, wie es die Wirtschaftskammer sagt, wenn Lebensmittel-Ketten ausgerechnet jetzt um jeweils einige Millionen Automaten für ein Einwegpfand aufstellen müssen?
Diejenigen, die im Handel am lautesten schreien, haben überall Automaten in den Supermärkten stehen. Keine uralten, neue, die sind umrüstbar. Es geht nur ums liebe Geld, eine gute Verhandlungsposition für die Abgeltung. Aber niemand verliert Geld, jeder bekommt pro Flasche einen gewissen Betrag. Ich bin überzeugt, schlussendlich wird keiner dagegen mauern.

Alle großen Lebensmittel-Ketten mit Ausnahme von Spar sind in deutscher Hand. Die kennen Einweg-Pfand seit Jahren. Schreien die? Die sind doch relativ still. 
Nehmen Sie beispielsweise die Schwartz-Gruppe mit Lidl, von denen hören Sie nicht einmal gar nichts. Warum: Die haben ein fast globales Recycling-Geschäftsmodell entwickelt und generieren daraus Wertschöpfung. Die betreiben ein eigenes Rücknahmesystem und haben sogar in eigene Sortieranlagen investiert. Alle leben längst mit dem Pfand. Mehrwegquoten würden viel mehr weh tun, weil sie dann die Sortimente umstellen müssen.

Ist dann die ARA der Grund für diesen massiven Widerstand?
Es gibt sicher die Furcht, dass ihr Quasi-Monopol mit 70 Prozent Marktanteil aufgebrochen wird. Das Einweg-Pfandsystem ist sicher ein disruptives Momentum, womit die ARA signifikant Macht, Lizenzgebühren, Marktanteile und Zugriff auf Wertstoffe verliert. Die ARA gehört mehr oder weniger dem Handel, ist ihr verlängerter Arm. Mit einer derart marktbeherrschenden Stellung kann nach allen Seiten Druck ausgeübt werden. Da kann nichts Neues entstehen. Ich rede mit vielen Abfüllern. Viele haben Angst, wenn sie zu dem Thema etwas Falsches zum Besten geben, dass sie aus dem Regal fliegen.

Wie viele neue Sortieranlagen würden gebraucht? Wie viel müsste investiert werden?
Drei topmoderne Anlagen, von denen jede 50 Millionen Euro kostet, die spielen dann alle Stücke. Die Investitionen müssten über langfristige Mengen- und Tarifvereinbarungen abgesichert werden. Die bekommt man momentan aber nicht, weil der Markt eine hohe Unsicherheitskomponente hat.

Wie wären diese Probleme möglicherweise lösbar?
Man teilt die Gesamtmenge der österreichischen Verpackungen auf die bestehenden und zukünftigen Sortieranlagen auf, wie das heute schon in der Sammlung mit dem gelben Sack passiert. Die Menge der Verpackungen ist ja da. Und trotzdem brauchen wir ein Pfandsystem, weil die wertvolle PET-Flasche und die wertvolle Aludose, damit darf ich mir nicht den gelben Sack verstopfen. Die kann und muss man mit weniger Aufwand und Kosten einem Recycling zuführen.

Kann man die Interessen der jahrzehntelang bewährten ARA wahren und trotzdem ein modernes System schaffen?
Der Urvater des Rücknahmegedankens war der grüne Punkt in Deutschland. Dort hat man erkannt, dass der Markt der Rücknahmesysteme aus europäischer Sicht ein freier Markt sein muss. Um den Markt zu liberalisieren, wurde die Gesellschaft hinter dem grünen Punkt verkauft, sie funktioniert jetzt als ganz normales Unternehmen. In Österreich hat man die Liberalisierung zwar angedacht, aber irgendwo in der Mitte aufgehört. Man hat 2015 einfach streng regulierte Wettbewerber neben die ARA hingestellt.

Sie vertreten in Österreich die deutsche Firma Reclay, genau wie die ARA ein Partner für Verpackungslizensierung. Welche Rolle spielt dabei die Österreichische Pfandgesellschaft, mit der Sie sich oft zu Wort melden?
Die ist ein Management Spin-off. Sie könnte bei Bedarf ein Systemkopf werden. Irgendwer muss bei einem Einwegpfand-System die Verantwortung tragen. Die ÖPG könnte eine Art Schiedsrichter im System sein. Eine Administrationsgesellschaft hat viele Vorteile. Aber wenn das nicht erwünscht ist, machen wir es nicht.