Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) will in Brüssel "Druck aufbauen gegen Denkverbote", die Forschung und Innovation im Zusammenhang mit der Nutzung von E-Fuels im Autoverkehr behindern. "Es ist wichtig, dass wir Forschung und Entwicklung weiter fördern", sagte Nehammer am Mittwochabend nach dem "Autogipfel" im Bundeskanzleramt, gegen den es schon im Vorfeld viel Kritik gab.

Bei dem von ihm initiierten Autogipfel sei es darum gegangen, wie man den Forschungs-, Innovations- und Produktionsstandort Österreich absichern und mit welchen Technologien man Mobilität weiterentwickeln kann. "In Österreich hängen mittelbar und unmittelbar mehr als 300.000 Arbeitsplätze von der Autoindustrie ab", sagte Nehammer. Die Wertschöpfung der Autoindustrie in Österreich betrage 27 Mrd. Euro, sagte der Kanzler. Österreich sei eines der führenden Länder bei der Anmeldung von Patenten in diesem Bereich.

Auch Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) sprach sich nach dem Treffen mit Vertretern aus Wissenschaft und Industrie für Technologieoffenheit aus. Es gehe jetzt auch darum, Brüssel zu überzeugen, dass gewisse Dinge, die jetzt noch nicht förderbar seien, die aber für ein gelingen der Wende und für den Standort Europa wichtig seien, doch förderbar zu machen.

Experte Jürgen Rechberger (AVL) im Interview

"Jetzt keine Technologie ausschließen"

Nehammer hatte sich zuletzt sehr für das Thema E-Fuels eingesetzt und dafür viel Kritik geerntet. Nach Ansicht vieler Experten ist der Einsatz synthetischer Kraftstoffe im Vergleich zu Elektroautos nicht energieeffizient. "Gerade die Veranstaltung heute soll zeigen, dass wir uns mit der Wissenschaft intensiv auseinandersetzen", sagte Nehammer. Man dürfe jetzt keine Technologie ausschließen, weil man in längeren Zeiträumen denken müsse. In zehn Jahren könnte noch viel mehr möglich sein, etwa die Effizienz des Einsatzes von E-Fuels viel besser werden. Nehammer verwies dabei auch auf Elektroautos, deren Reichweite über die Jahre viel besser geworden sei.

Es gehe darum, "den österreichischen Markt so interessant zu halten für Innovation, Forschung und Produktion, dass große Industriebetriebe bei uns investieren". Österreich habe nicht nur eine bedeutende Zulieferindustrie, sondern auch schon eine hohe Kompetenz bei der Produktion von E-Fuels.

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Umstrittene Themen und Polarisierung

Eines der umstrittenen Themen ist die Finanzierung von Forschung zu E-Fuels. E-Fuels sind klimaneutrale Kraftstoffe, die mit grünem Wasserstoff und CO2 aus der Luft erzeugt werden.

Viele Experten gehen davon aus, dass nur eine Melange unterschiedlicher Antriebsformen unsere CO2-Bilanz verbessern kann. Also ein Mix aus E-Mobilität, E-Fuels und Wasserstoffantrieb. Aber alle haben Stärken und Schwächen, unterschiedliche Einsatzgebiete – und alle brauchen grüne Energie, die noch nicht ausreichend vorhanden ist.

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Was zur Polarisierung in der Diskussion führt. Während Nehammer sich gegen das Aus von Verbrennern ausspricht und betont, dass "Forschung und Entwicklung nicht von Denkverboten geprägt sein sollen", steigen Grüne auf die Bremse. "Die E-Fuel-Träumerei gefährdet die österreichische Automobilindustrie. Diese ist am Weg zur E-Transformation", so Umweltlandesrat Stefan Kaineder (OÖ).

"Mit E-Autos alleine werden wir es nicht schaffen"

Bernhard Wiesinger, Leiter der ÖAMTC-Interessenvertretung, begrüßte als Teilnehmer des Autogipfels die Initiative der Regierungsspitze "Das Bekenntnis zur Technologieoffenheit ist ein wichtiges Signal, denn einerseits ist E-Mobilität unbestritten ein wichtiger Baustein dieser Zukunft. Andererseits: Mit E-Autos alleine werden wir es nicht schaffen, die Klimaziele im Verkehr zu erreichen. Denn wir bräuchten bis 2030 bereits 2,5 Millionen E-Autos auf Österreichs Straßen - und nichts deutet derzeit darauf hin, dass solche Zahlen erreichbar sind."

Auch der Obmann der Plattform erneuerbare Kraftstoffe, Johannes Schmuckenschlager, begrüßte Nehammers Aktion - und Zuspruch gab es auch von der Industriellenvereinigung (IV) und der Wirtschaftskammer (WKÖ). Die österreichischen Automobilimporteure meinten: "Wichtig sind dabei eine technologieoffene Forschung und Entwicklung, um Innovationen sicherzustellen und den Standort zu stärken."

"Nicht in neue Abhängigkeiten begeben"

Der Chemiker Robert Schlögl, Präsident der deutschen Alexander von Humboldt-Stiftung, meinte: "Ich würde vor allen Dingen erst mal dieses Vorurteil weggeben, dass die Erzeugung von e-Fuels sehr ineffizient sei". Und Georg Brasseur, emeritierter Professor an der TU Graz, verwies auf die "Limitierung der Rohstoffe, die wir haben, um diese gewaltige Energiewende hinzukriegen". Europa und Österreich sollen sich nicht in neue Abhängigkeiten begeben, wie "beispielsweise jetzt mit den Batterien aus China".

Harsche Kritik

Kritik kam hingegen schon im Vorfeld von den Oppositionsparteien. Aber auch im Klimaschutzministerium ist man der Meinung, dass die Zukunft der Elektromobilität gehört. Das sei auch für die österreichische Autoindustrie eine große Chance.

Die Umweltschutzorganisationen Global 2000 und Greenpeace sowie von Fridays for Future Austria kritisierten den Autogipfel wie erwartet. Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" besprühten die Fassade des Bundeskanzleramts mit einer ölig-schwarzen Flüssigkeit - nach ihren eigenen Angaben handelte es sich dabei um einen Mix aus Wasser, Guarkernmehl und Farbe, der abwaschbar und ungiftig sei.

In der EU dürfen ab 2035 keine Neuwagen mehr verkauft werden, die ausschließlich mit Benzin oder Diesel fahren. Die EU-Staaten beschlossen Ende März endgültig ein weitgehendes Aus für neue Autos mit Verbrennungsmotor, nachdem die Entscheidung von Deutschland wochenlang blockiert worden war. Nach dem erzielten Kompromiss können auch nach 2035 Neuwagen mit Verbrennungsmotor in der EU zugelassen werden, wenn sie mit E-Fuels betankt werden.

Arbeitsplatzabbau und neue Arbeitsplätze

Analysen gehen aber vom massiven Arbeitsplatzabbau durch den Umstieg aus. Erst in der Vorwoche war Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) übrigens ebenfalls in Steyr, wo Steyr Automotive gerade den vollelektrischen Volta-Lkw gestartet hat. Bis zu 14.000 Fahrzeuge sollen dort pro Jahr mehr als 700 Arbeitsplätze schaffen.

In zwei Jahren sollen im BMW-Werk in Steyr, das Nehammer besuchte,  600.000 Elektroantriebe pro Jahr produziert werden. Elektromobilität sei 
wesentlich bei den Neuwagen der Zukunft, sagte Werksleiter Klaus von 
Moltke dem ORF-Radio.

Lahmer Gaul oder die Zukunft?

Der deutsche Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht E-Fuels kritisch. "Wenn man auf Synfuels setzt für Pkws, da setzt man wirklich auf den lahmen Gaul." Das große Geschäft werde die Batterie, Österreich sei besser beraten, dort zu forschen und die Autoindustrie dabei zu unterstützen, so der Autoexperte gegenüber Ö 1.

Sinnvoll ist der Einsatz nur dort, wo es keine Alternativen gibt. Den Großteil des E-Fuels werde man "für Luft- und Schifffahrt brauchen", erklärte AVL-List-Manager Jürgen Rechberger.