Führende Wirtschaftsforschungsinstitute sehen die Notenbanken angesichts hoher Inflation und eingetrübter Konjunkturaussichten vor einer schwierigen Gratwanderung. Mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine haben sich laut den Forschern die wirtschaftlichen Perspektiven verschlechtert und zugleich sei der inflationäre Druck spürbar erhöht.

"Damit steht die Geldpolitik vor einem Zielkonflikt zwischen Preis- und Produktionsstabilisierung, wie er in ähnlicher Weise im Zuge der beiden Ölpreisschocks 1973 und 1979 aufgetreten war", heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten Gutachten für die deutsche Regierung.

Die Institute erwarten, dass der US-Leitzins schrittweise bis auf 2,75 Prozent im vierten Quartal 2023 angehoben wird. "Die Europäische Zentralbank strafft ihre Geldpolitik zaghafter", heißt es in der Frühjahrsprognose weiter. Mit einer Anhebung der Leitzinsen im Euroraum sei erst für das vierte Quartal dieses Jahres zu rechnen. 2023 werde der Hauptrefinanzierungssatz dann voraussichtlich weiter bis auf 1,0 Prozent erhöht werden, sagen die Forscher voraus.

Die Europäische Zentralbank (EZB) entscheidet am Donnerstag wieder über den Leitzins. Beobachter erwarten, dass die Währungshüter vorerst in Wartestellung bleiben. Der sogenannte Einlagesatz – eine Art Strafzins für das Horten von Geld bei der EZB – liegt seit Jahren bei minus 0,5 Prozent, während auch der Leitzins auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent verharrt. Der EZB-Rat hält sich die Tür für eine Erhöhung aber offen. Er steht bereit, "alle seine Instrumente" bei Bedarf anzupassen. Damit will er sicherstellen, dass sich die Inflation mittelfristig bei der Marke von 2,0 Prozent stabilisiert. Zuletzt war die Teuerung mit 7,5 Prozent aber weit über den Zielwert hinausgeschossen.

Noch keine grundlegenden Änderungen erwartet

Schon beim letzten Treffen des EZB-Rats im März hatten die Zentralbanker angekündigt, die EZB-Anleihekäufe bereits im Juni zu reduzieren und nicht erst im Oktober – im dritten Quartal könnte also Schluss sein mit den Liquiditätsspritzen für die Finanzmärkte. "Einige Zeit" nach dem Ende der Anleihenkäufe könne dann eine Änderung der Leitzinsen erfolgen.

Seitdem sind die Preise im Euroraum weiter gestiegen, im März erreichte die Inflation aber eben einen Höchststand von 7,5 Prozent. Angesichts der hohen Energie-, Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise wächst die Sorge, dass der Ukraine-Krieg die wirtschaftliche Erholung nach der Corona-Pandemie abwürgen könnte.

Die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) und die britische Bank of England hatten angesichts der hohen Teuerungsraten bereits Zinserhöhungen angekündigt – die EZB hielt sich bisher zurück. Zwar werden am Donnerstag keine grundlegenden Änderungen der Geldpolitik erwartet, doch jedes Wort der Zentralbanker wird auf die Goldwaage gelegt werden, um eine mögliche Kursänderung der EZB frühzeitig zu erkennen.

Festes Enddatum für die Anleihekäufe?

Die Ratssitzung am Donnerstag sei "kein Treffen für eine tatsächliche Änderung der Geldpolitik", schätzt ING-Analyst Carsten Brzeski. Noch gebe es zu wenig Informationen über die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs. "Die Füße stillhalten und mit der angekündigten Reduktion der Anleihekäufe fortfahren, scheint die einzig vernünftige Option zu sein." Die große aktuelle Unsicherheit könne den EZB-Rat allerdings dazu zwingen, die eigenen Handlungsoptionen zumindest ein Stück weit einzugrenzen.

Immer mehr Stimmen im EZB-Rat wenden sich gegen die Fortführung der lockeren Geldpolitik, mit der die EZB jahrelang das Wirtschaftswachstum anfeuerte. Laut Sitzungsprotokoll der letzten Ratssitzung am 10. März herrschte keinesfalls Einigkeit über das weitere Vorgehen der Zentralbank.

"Eine hohe Anzahl von Mitgliedern war der Ansicht, dass die anhaltend hohe Inflation sofortige Schritte zur Normalisierung der Geldpolitik erforderlich mache", heißt es in dem Protokoll. Einige Ratsmitglieder forderten ein "festes Enddatum für die Anleihekäufe im Sommer" – eine Leitzinserhöhung wäre dann im dritten Quartal denkbar.