Mitte November unterzeichneten China und 14 asiatisch-pazifische Staaten das größte Freihandelsabkommen der Welt. Der Pakt deckt 30 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes ab und wird es China erleichtern, seine Erzeugnisse in diesen Ländern zu vermarkten, während es für alle anderen Volkswirtschaften außerhalb des Abkommens, dazu zählt insbesondere Europa, schwieriger werden wird. Indes steuert Europa auf ein No-Deal-Szenario mit Großbritannien zu, mehr noch, es hat sich weitestgehend aus dem Wettlauf um Handelsabkommen und bessere Marktzugänge verabschiedet. Kürzel und Begriffe wie Ceta, TTIP und Mercosur sind emotional aufgeladen und lösen bei vielen Menschen Skepsis und Ablehnung aus; hier treffen sich linke Globalisierungskritiker und rechte Nationalisten.
Die Pandemie verstärkt die Stimmung gegen den Freihandel, die Tendenz zur Abschottung, zur Nationalität. Genau darin sieht Hanno Lorenz, Ökonom der wirtschaftsliberalen Agenda Austria, eine Gefahr für Österreich. Die Agenda präsentierte am Dienstag eine neue, 40-seitige Untersuchung zur Frage "Wer braucht schon Freihandel?". Die Antwort, wenig überraschend und kurz zusammengefasst: Österreich brauche ihn.
Jeder zweite Arbeitsplatz durch Export
"Der Freihandel bringt gerade für ein kleines Land wie Österreich viele Vorteile. Es gibt kaum ein Fachgebiet in der Ökonomie mit einer derart großen Übereinstimmung der Wissenschaft", sagt Lorenz.
Dass der internationale Handel den Wohlstand einer Gesellschaft positiv beeinflusse, gelte für kleine Länder deshalb mehr, da sowohl deren Ressourcen, als auch die Zahl der Konsumenten überschaubar ist. Österreich ist ein Exportland - 56 Prozent der heimischen Güter und Dienstleistungen erreichen Konsumenten im Ausland, "und das sind nicht nur Erzeugnisse von Großkonzernen". Jeder zweite Arbeitsplatz in der klein strukturierten österreichischen Wirtschaft hängt am Außenhandel, wie auch die Wirtschaftskammer immer wieder betont.
Allein bis zum Jahr 2014 wäre die Gesamtbeschäftigung in Österreich ohne EU-Mitgliedschaft um 13 Prozent geringer ausgefallen. Darüber hinaus gelte, dass, so die EU-Kommission 2019, "österreichische Exporte in Nicht-EU-Länder 495.000 Arbeitsplätze im Land sichern". Mehrere Studien, unter anderem der Bertelsmann Stiftung, bestätigen die positiven Effekte eines intensiven internationalen Freihandels auf den Arbeitsmarkt. Dazu kommt, dass Österreich auch von Waren und Technologien profitiert, die es selbst nicht herstellen kann - Beispiel Smartphones: Sie kommen von Apple oder Samsung und tragen wiederum Know-how und Bestandteile aus Österreich in sich.
1270 Euro pro Kopf und Jahr
Außerdem stärke Freihandel die Kaufkraft insbesondere niedriger Einkommen, erklärt Lorenz und rechnet vor, dass die globalen Lieferketten einem österreichischen Durschnittsbürger zwischen 1990 und 2018 jährlich knapp 1270 Euro an Wohlstandsgewinn eingebracht hätten. Damit liegt Österreich in einem Vergleich von 27 europäischen Staaten auf dem neunten Platz. Angeführt wird das Ranking von Irland und der Schweiz, wo der jährliche Pro-Kopf-Profit durch den Freihandel jeweils über 2300 Euro betrage.
Im internationalen Vergleich ist Österreich aber auch bei der Freihandelsskepsis weit vorne. 45 Prozent der Bevölkerung meinten 2017, die Globalisierung bedrohe Arbeitsplätze, da ausländische Anbieter heimische Betriebe verdrängen könnten. Dass der Freihandel die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößere, wird ebenfalls ins Treffen geführt. Tatsächlich sei sich die Wissenschaft nicht einig, so die Agenda, "inwieweit die Globalisierung auf die Verteilung des Wohlstands in den einzelen Nationen wirkt".
Insgesamt ist der wirtschaftliche Kuchen größer geworden, doch haben nicht alle im gleichen Maß profitiert. "Das Ziel der Politik muss es sein, Personengruppen, die sich als Verlierer sehen, aufzuklären und aufzufangen und bei der Reintegration zu unterstützen", fordert Lorenz. Ein Mittel dazu sei Bildung und Weiterbildung.
Abschottung ist kein Rezept
Auch als Mitverursacher des Klimawandels steht der Freihandel in der Kritik. "Das Klima ist ein internationales Problem, dafür brauchen wir Abkommen. Entlang der Lieferketten kommen auch saubere Technologien zu uns", argumentiert Lorenz. Fakt sei, dass der Hauptteil der Schadstoffe bei der Produktion von Gütern entstehe, nicht bei deren Transport.
Dass kürzere Lieferketten - wie jetzt in der Pandemie immer wieder postuliert wird - vor einer Krise schützen würden, sei nicht richtig, sagt der Ökonom. Berechnungen für Deutschland würden zeigen, dass eine Renationalisierung der Produktion nicht dabei helfe, Volkswirtschaften vor den Folgen der Pandemie abzuschirmen. Ein stärkerer Fokus auf lokale Produktion bedeute eine größere Abhängigkeit von wenigen und oft teureren Vorleistungen, zu diesem Schluss kommt auch die OECD. Komme es bei diesem System in einer Lieferkette zu einer Unterbrechung, sei es schwieriger, Ersatzprodukte zu finden, was letztlich das Risiko in der Versorgungssicherheit erhöht. Die beste Antwort auf Krisen und Schocks, wie sie die Welt 2020 erlebt, sei Diversifikation (Vielfalt, Ausweitung) in der Produktion, so Lorenz.