Mario Plachutta, Großmeister des Tafelspitz, bringt mit seiner „gemischten Stimmung“ die Gefühlsachterbahn der Gastronomen am heutigen Wiedereröffnungstag nach zwei Monaten Coronaschließung auf den Punkt: „Erfreut wäre ich, wenn der Flughafen Wien offen wäre, denn Touristen werden wir alle brauchen. Aber klar ist, dass auch die nächsten zwölf Monate uns Unternehmer unglaublich viel Geld kosten werden. Meine Arbeit der letzten Jahre ist dahin, praktisch umsonst. Aber wir sind zum Glück solide aufgestellt und werden es überstehen. Deshalb ist das Wichtigste für mich heute, dass ich wieder gestalten kann, denn dafür bin ich Unternehmer geworden“, sagt Plachutta.

Einen Coronaschock habe er bei Schließung der Lokale durch die Epidemieverordnung der Bundesregierung nicht erlitten: „Ich habe zwei BSE-Krisen überlebt.“ Nun holt der Gastronom, berühmt für seine Rindfleischgerichte, in seinen sechs Betrieben in Wien 245 Mitarbeiter aus der Kurzarbeit wieder in Küche, Schank und Gaststube zurück. „Ein Langzeitmodell ist die Kurzarbeit für die Gastronomie nicht. Wir sind Dienstleister, das Schulterscherzl kann man ja nicht morgen für den Gast kochen.“

Die Maßnahmen der Bundesregierung sah er „als Notwendigkeit, deshalb stehen wir in Österreich epidemiologisch so gut da“. Nun müsse man auch beim Hochfahren das Virus sehr ernst nehmen. „Man muss machen, was erforderlich ist, aber auslaufen lassen, was nicht mehr notwendig ist, weil sich die Lage oder wissenschaftliche Erkenntnisse ändern. Das gehört dann schnell weg, um den Leuten die Verunsicherung zu nehmen. Vielleicht kann dann am Ende des Tages auch die Maskenpflicht fallen, wenn medizinisch der Abstand das Thema ist“, so Plachutta. In seinen Lokalen fallen durch Abstandsmaßnahmen 30 Prozent der Plätze weg, „das wird mit Plätzen im Gastgarten ausgeglichen. Aber jetzt brauchen wir bald auch Touristen, vor allem auch die Hotels, die es noch härter trifft als uns Gastronomen.“

Wirtschaftsfaktor Gastronomie

Dabei ist die Gastronomie ein bemerkenswerter Wirtschaftsfaktor im Land. Die mehr als 41.000 gastronomischen Betriebe in Österreich – vom Gasthaus bis zum Eissalon, vom Beisl und Stehcafé bis zur Lieferküche – erwirtschafteten zuletzt mit 157.000 Mitarbeitern, knapp 43.000 waren geringfügig beschäftigt, einen Gesamtjahresumsatz von 9,4 Milliarden Euro. Der Frauenanteil unter den Dienstnehmern in der Gastronomie beträgt 56 Prozent.

9 von 10  Betrieben sperren auf

Rund 90 Prozent der Gastrobetriebe, schätzt Mario Pulker, Obmann des Fachverbands Gastronomie in der Wirtschaftskammer, werden heute aufsperren. Geschlossen bleiben alle Bars, Tanzlokale und Diskotheken, für die es weder Öffnungsplan noch Sonderhilfen gibt. 2900 solcher Lokale gibt es österreichweit. Die Erleichterung durch die Wiedereröffnung könnte zudem vorerst nur gering sein, rechnet der Standortberater Regioplan vor: Der tägliche Umsatzverlust in der Gastronomie betrug während des „Lockdown“ 67 Millionen Euro, in den nächsten Wochen wird er im Schnitt noch immer bei 52 Millionen Euro liegen. Zuvor entfielen fast zwei Drittel der Einnahmen auf Touristen.

Die große Bedeutung der Gastronomie zeigt ein Beispiel der Wirtschaftskammer. Würden alle Erwerbstätigen – vor der Krise waren es im Schnitt 4,4 Millionen – zwei Mal in der Woche einen gespritzten Apfelsaft um 3,90 Euro konsumieren, ergäbe dies einen monatlichen Mehrumsatz von 140 Millionen Euro. Dahinter würden mehr als 2000 Jobs geschaffen: 1253 in der Gastronomie, 78 am Bau, 38 in der Finanz- und Versicherungswirtschaft, 44 in der Logistik und 41 in der Landwirtschaft.