Erdbeben bei der VW-Tochter Audi: Vorstandschef Rupert Stadler sitzt als erster Manager aus der obersten Führungsriege im Dieselskandal in Untersuchungshaft. Der 55-Jährige, der Audi seit 2007 führt, wurde am Montagvormittag zuhause in Ingolstadt festgenommen, wie die Münchner Staatsanwaltschaft mitteilte. Es bestehe Verdunkelungsgefahr.

Diesen Haftgrund führt die Justiz an, wenn sie befürchtet, dass Verdächtige Beweismittel vernichten oder Zeugen beeinflussen wollen. Stadler soll spätestens am Mittwoch vernommen werden, sagte ein Justizsprecher. In Ingolstadt und Wolfsburg schlug die Nachricht ein wie eine Bombe: Der Audi-Chef wurde nur wenige Stunden vor einer regulären Sitzung des VW-Aufsichtsrates verhaftet, bei der auch seine Zukunft Thema sein sollte.

Neuer Chef noch heute

Nach der Verhaftung von Audi-Chef Stadler will die VW-Tochter noch am Montag einen neuen Vorstandschef benennen. Dieser solle die Marke mit den vier Ringen als Interimslösung führen, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vorab.

Nach jüngsten Meldungen soll der derzeitige Audi-Vertriebsvorstand Bram Schot, er ist Niederländer, beim deutschen Autobauer vorläufig den Chefposten vom verhafteten Rupert Stadler übernehmen. Der Audi-Aufsichtsrat muss der Personalie noch formal zustimmen, wie die Deutsche Presse-Agentur am Montag von mit der Angelegenheit vertrauten Personen erfuhr. Das "Handelsblatt" berichtet, dass VW Stadler beurlauben wolle.

Schot wurde am 12. Juli 1961 in Rotterdam geboren. Er studierte an der Universität Bradford in England Betriebswirtschaft. 1986 begann er seine Karriere als Management-Trainee in der ABN-Amro-Bank, wechselte ein Jahr später zu Mercedes-Benz in den Niederlanden und war dort für den Vertrieb von Nutzfahrzeugen zuständig. Er wurde Landeschef von DaimlerChrysler in den Niederlanden, dann in Italien.

2011 wechselte Bram Schott zum VW-Konzern. Ab 2012 war er Vertriebschef der Volkswagen-Nutzfahrzeuge. Seit September 2017 ist der Manager bei Audi Vorstand für Vertrieb und Marketing.

Stadler ist seit elf Jahren Audi-Chef. Vor einer Woche hatte die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, ein Ermittlungsverfahren gegen ihn sowie ein weiteres Mitglied des Vorstands der VW-Tochter eingeleitet zu haben. Sie legt ihnen "Betrug sowie mittelbare Falschbeurkundung zur Last". Die beiden hätten Dieselautos mit manipulierter Abgasreinigung in Europa in den Verkehr gebracht.

Ermittler stützen sich auf Auswertungen

Erst vor einer Woche waren die Ermittler bei Stadler und einem weiteren Audi-Vorstand zuhause zur Razzia angerückt. Den beiden Spitzenmanagern wird unter anderem Betrug zur Last gelegt. Sie sind die ersten amtierenden Vorstände unter den Beschuldigten. Seither steht Stadler noch stärker im Feuer als in den vergangenen gut zweieinhalb Jahren seit Bekanntwerden der Abgasaffäre ohnehin. Dem Manager wird auch intern eine schleppende Aufarbeitung des Skandals vorgehalten, obwohl Audi als Keimzelle der Abgasschummeleien gilt. Stadler hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Sein Anwalt lehnte am Montag eine Stellungnahme ab.

Wusste Stadler von Manipulationen?

Neben Stadler sitzt als Beschuldigter auch ein ehemaliger Chef der Audi-Motorenentwicklung und Porsche-Entwicklungsvorstand in Untersuchungshaft. Er war im September 2017 verhaftet worden. Einer seiner früheren Mitarbeiter bei Audi in Neckarsulm war nach mehreren Monaten Untersuchungshaft im November 2017 wieder freigekommen.

Fassungslos äußerten sich am Montag Insider aus dem VW-Konzern. "Das ist der Hammer." Man sei "vollkommen überrascht", hieß es. Stadler selbst sei bei seiner Verhaftung überrascht, aber gefasst gewesen, sagte eine Person mit Kenntnis der Vorgänge.

"Die Verhaftung ist ein weiterer Tiefpunkt in der VW-Dieselsaga", schrieb Arndt Ellinghorst vom Analysehaus Evercore ISI. "Warum haben die Aufsichtsräte von Audi und VW nicht früher etwas unternommen?" Über Stadlers unmittelbar bevorstehende Ablösung wurde seit Bekanntwerden des Dieselskandals immer wieder öffentlich spekuliert.

Nicht der einzige Vorstand mit Riesenproblemen

Im VW-Konzern ist der Audi-Chef nicht der einzige aktive Spitzenmanager im Fadenkreuz der Ermittler: Gegen den Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts der Marktmanipulation. Für den VW-Chef werden die Ermittlungen gegen Stadler zusehends zu einem Problem. Denn er setzt bisher beim Umbau des VW-Mehr-Markenkonzerns auf den Audi-Chef. Stadler leitet die wichtige Premiumgruppe von VW mit der Marke Audi an der Spitze.

Aktienkurs gab deutlich nach

Audi soll in den USA und Europa von 2009 an rund 220.000 Dieselautos mit Schummelsoftware verkauft haben. Seit Ende 2015 hatten sechs Audi-Vorstände ihren Hut nehmen müssen. Gegen Stadler waren immer wieder Rücktrittforderungen laut geworden.

Nach der Festnahme von Audi-Chef Rupert Stadler haben die Vorzugsaktien von Volkswagen am Montag deutlich nachgegeben. Mit einem Abschlag von 1,93 Prozent auf 157,93 Euro waren sie am Vormittag der größte Verlierer im Dax. VW-Papiere gaben damit wesentlich stärker nach als die Papiere von BMW (-0,9 Prozent) und Daimler (-1 Prozent).

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