Im Vorfeld von Zinssitzungen haben sie schon Tradition: Umfragen unter Analysten und Finanzmarktakteuren, wie hoch die Wahrscheinlichkeit auf einen zinspolitischen Schritt eingeschätzt wird. Wenn es um den kommenden Donnerstag geht, also dem nächsten Treffen des Rats der Europäischen Zentralbank, scheint die Sache eindeutig zu sein: Mehr als 90 Prozent gehen laut jüngsten Zahlen von einer neuerlichen Senkung der Leitzinsen aus. Es wäre die achte EZB-Zinssenkung seit Juni 2024. Für eine erneute Zinssenkung am 5. Juni spricht, dass die Inflation im Euroraum inzwischen weitgehend eingedämmt ist. Zudem bereitet den Währungshütern die schwache Konjunktur in der 20-Länder-Gemeinschaft Sorgen.

Die EZB hatte im Juni 2024 im Zuge einer abebbenden Inflation die Zinswende vollzogen und setzte seitdem die Schlüsselsätze bereits sieben Mal nach unten – zuletzt im April. Die Währungshüter hatten nach dem Zollgewitter von US-Präsident Donald Trump auf der Zinssitzung die Schlüsselsätze also erneut gesenkt. Der am Finanzmarkt richtungsweisende Einlagensatz, der Leitzins im Euroraum, liegt seitdem bei 2,25 Prozent. Der Zins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, wurde ebenfalls um 0,25 Prozentpunkte auf 2,40 Prozent gesenkt

Juli-Sitzung könnte eine Zinspause bringen

Wie geht‘s dann weiter. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hielt sich auf der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss dazu bedeckt, wie es mit den Leitzinsen weitergehen soll. Ein Gros der Finanzmarktexperten geht grundsätzlich davon aus, dass der Einlagensatz heuer noch unter die Marke von zwei Prozent fallen wird. Ob bereits bei der dann übernächsten EZB-Zinssitzung im Juli ein weiterer Schritt nach unten erfolgt, ist aber völlig offen.

Griechenlands Notenbankchef Yannis Stournaras rechnet beispielsweise mit einer Zinspause nach dem Juni, also nach der Sitzung am Donnerstag. „Ich denke, wir werden die Zinsen noch einmal senken im Juni und dann erwarte ich eine Pause“, wurde das Ratsmitglied der EZB in der Vorwoche in der griechischen Zeitung „Kathimerini“ zitiert. Die EZB sollte ihren Leitzins nach den Worten von Ratsmitglied Pierre Wunsch möglicherweise „knapp unter“ zwei Prozent senken. Die globalen Handelsspannungen stellten Abwärtsrisiken für Inflation und Wachstum dar, sagte der Gouverneur der belgischen Zentralbank Mitte Mai der „Financial Times“. Der lettische Notenbankchef Martins Kazaks sieht die EZB womöglich bald am Ziel angelangt. Die Entwicklung der Inflation entspreche im Großen und Ganzen den Basisannahmen der Europäischen Zentralbank, sagte das EZB-Ratsmitglied ebenfalls Mitte Mai dem Sender CNBC. „Und wenn das Basisszenario standhält, dann, denke ich, dass wir bereits relativ nah an der Zielrate für die Zinsen sind.“

Die EZB strebt mittelfristig eine Inflationsrate von 2,0 Prozent an. Diesem Ziel ist sie bereits sehr nahe gekommen. Im April lag die Teuerungsrate in der 20-Länder-Gemeinschaft bei 2,2 Prozent. Noch im Herbst 2022 war die Inflation zeitweise bei über 10 Prozent gelegen.