Der amerikanische Ökonom Melvin Thomas Copeland setzte sich in den 1920ern erstmals mit dem Thema Markenbeharrlichkeit auseinander. Seine Erkenntnisse waren Grundlage dafür, dass es im Marketing seither nicht mehr um den einzelnen Kauf, die einzelne Transaktion, sondern um die langfristige Kundenorientierung geht. Auch die ersten Rabattmarken stammen aus den USA. Sie wurden 1896 vom Unternehmen Sperry & Hutchinson herausgegeben. Man findet sie heute noch auf eBay.

Nicht nur in der Gastronomie und bei Servicebetrieben, sondern vor allem im Einzelhandel sind Kundenbindungs- bzw. Bonusprogramme nicht mehr wegzudenken. Nahezu alle Konsumenten nehmen laut eigener Angabe daran teil, sei es eine Kunden-App, sei es ein Payback-Programm. In Österreich hat alleine der jö-Bonusclub, der federführend von der Rewe-Gruppe (Billa, Penny, Bipa) ausgegeben wird, 4,7 Millionen Mitglieder. „Sie haben seit dem Start des Clubs 2019 mehr als eine Milliarde Euro durch Rabatte gespart“, versichert Nikolai Scheurecker, Geschäftsführer des jö-Bonus Clubs.

Spar spielt seine Rabatt-Marken seit zwei Jahren auch über eine App aus - sie hat aktuell drei Millionen Nutzer. Die Payback-Karte - sie besteht seit 2018 - hat aktuell 300 Partner und 3,2 Millionen Anwender - 600.000 davon sind App-Nutzer.

Auf den Fotos: Ernst Gittenberger, Christoph Teller, Nikolaus Gstättner, Raimund Haberl
Handelsforscher Ernst Gittenberger, Christoph Teller: „Die Kundenbindung ist nicht beziehungsbasiert“ © Markus Traussnig

Bares schlägt Beziehung

Es ist aber keineswegs Kundenloyalität, was diese Programme bewirken. „Fast 90 Prozent der Konsumenten sind mit ihrem bevorzugten Lebensmittelgeschäft ohnehin zufrieden. 80 Prozent sehen sich ohnehin selbst als treue Kunden“, haben Ernst Gittenberger und Christoph Teller vom Institut für Handel, Absatz und Marketing der Uni Linz erhoben. Der Grund, mitzumachen, ist - das Geld. Konkret sagen über 80 Prozent, dass es ihnen um finanzielle Anreize bzw. Belohnungen geht. Wertschätzung, Zugehörigkeit: irrelevant. Gittenberger: „Die Kundenbindung erfolgt also überwiegend transaktionsorientiert, nicht beziehungsbasiert.“

Billa-Rabattpickerln
Billa-Rabattpickerln © KLZ/Birnbaum

Dazu passt, dass ohne geldwerte Vorteile von Stammkundenprogrammen Einkaufsfrequenz und Ausgaben sinken würden bzw. die Wechselbereitschaft hin zu anderen Geschäften steigen würde. So geben es die Konsumenten selbst an. Teller: „Echte Loyalität entsteht dort, wo Handelsunternehmen über Transaktionen hinaus in Beziehungspflege investieren – etwa durch persönliche Interaktion, gelebte Empathie und authentisches Kundenverständnis. Diese traditionellen Kaufmannstugenden – Zuhören, Verlässlichkeit, individuelle Problemlösungen – geraten jedoch in den Hintergrund. In einer Marktumgebung, die durch Preiswettbewerb, Filialisierung und digitale Vergleichbarkeit geprägt ist, wird Bindung zur strategischen Herausforderung.“

Doch auch um das liebe Geld sei es mit den Kundenprogrammen und Rabatt-Pickerln nicht allzu gut bestellt, befürchten Konsumentenschützer. „Die Leute meinen, sie kaufen billig, vergessen dabei aber, tatsächlich einen Preisvergleich durchzuführen“, heißt es vom Verein für Konsumenteninformation (VKI). Etwa kaufe man bei Rabattpickerl-Aktionen oft das teuerste Produkt, obwohl man es gar nicht brauche. Und: Wer einmal im Geschäft ist, kauft nicht nur rabattierte Produkte.

Kunden bezahlen mit Daten

Und dann wäre da noch die Transparenz hinsichtlich Kundendaten. Erst diese Woche verhandelte das Oberlandesgericht Stuttgart über eine Klage gegen die Lidl Plus-App. Nach Ansicht der Verbraucherzentrale informiert der Discounter die Nutzer nicht ausreichend darüber, dass sie die App-Rabatte mit ihren Daten bezahlten. Auch der Jö-Club wurde vom VKI bereits geklagt. Die Datenschutzbehörde verhängte eine Millionenstrafe gegen ihn. Tatsächlich gehen Kunden und Händler in den Apps ein Tauschgeschäft ein: Angemeldeten Kunden winken exklusive Vorteile. Die Händler erhalten dafür deren Daten. 

Immer mehr Tiefpreise gelten ausschließlich für registrierte Kunden mit App - damit zog jüngst auch Rewe mit seiner Jö-App Kritik auf sich. Wallet-Marketing bzw. Mobile Marketing nennt sich diese Kundenansprache übers Handy. Unternehmen sind dadurch in der Lage, gezielt auf das Verhalten der Kunden zu reagieren und maßgeschneiderte Angebote zu liefern. So können sie etwa Standorte und Einkaufsgewohnheiten dafür nutzen, personalisierte Rabatte oder Produktempfehlungen direkt aufs Smartphone zu senden. Laut Studien wird der Markt für Loyalty Tech - das ist die Software hinter den Kundenbindungsprogrammen - dieses Jahr in Europa um 20 Prozent wachsen. Auf fünf Milliarden Euro.