Am Donnerstag um 10 Uhr wird das letzte Kapitel in der gerichtlichen Aufarbeitung der Ära von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser aufgeschlagen. Am Obersten Gerichtshof (OGH) im Wiener Justizpalast startet das Berufungsverfahren rund um den Verkauf von 60.000 Bundeswohnungen. Erstinstanzlich und nicht rechtskräftig wurde Grasser im Dezember 2020 am Wiener Straflandesgericht zu acht Jahren Haft verurteilt.
Für das Verfahren beim OGH sind vier Tage anberaumt, ein früheres Urteil ist möglich. Dies kann von einer Aufhebung des Spruches des Schöffensenates aus dem Jahr 2020 bis zu einer vollinhaltlichen Bestätigung reichen. Neben Grasser wurden im Strafverfahren unter Richterin Marion Hohenecker unter anderem auch Ex-FPÖ-Generalsekretär Walter Meischberger und der Lobbyist Peter Hochegger nicht rechtskräftig verurteilt, auch sie haben sich an den OGH gewandt.
„Keine Auszeichnung für einen funktionierenden Rechtsstaat“
Der Jurist Robert Kert (Leiter des Instituts für Wirtschaftsstrafrecht an der WU Wien), betonte am Mittwochabend in der ZiB2, dass die Verfahrensdauer – 16 Jahre vom Beginn der Ermittlungen bis zur Berufung vor dem OGH – „schwer rechtfertigbar“ sei. „Das ist keine Auszeichnung für einen funktionierenden Rechtsstaat“, so Kert, der aber einräumt, dass es sich um ein sehr komplexes Verfahren handle. Es stehe aber fest, „dass solch lange Verfahren für alle Beteiligten problematisch sind und eigentlich unzumutbar sind“. Auch für das Strafrecht sei das problematisch, „junge Menschen kennen Herrn Grasser gar nicht mehr als Finanzminister“. Da höre sich die Berechtigung für das Strafrecht auf, wo es darum gehen sollte, zeitnahe zu reagieren.
„Man sollte das auf jeden Fall verkürzen“
Auf die Frage, woran es liege, dass im ebenfalls enorm komplexen Wirecard-Verfahren in Deutschland binnen zwei Jahren Anklage erhoben wurde, das Buwog-Verfahren hingegen vier Mal so lang dauere, sagt Kert: Es gebe in Deutschland schon auch Probleme bei komplexen Wirtschaftsverfahren, bei Wirecard seien aber zum Teil einzelne Sachverhaltskomplexe herausgenommen worden. Das sei bei Buwog-Verfahren nicht der Fall gewesen, „das liegt schon auch an unserer Strafprozessordnung, die verlangt, dass jeder Sachverhalt bis ins kleinste Detail ermittelt wird“. Das sei bei diesen Wirtschaftsstrafverfahren von so hoher Komplexität aber fast nicht möglich. „Man sollte das auf jeden Fall verkürzen“. Er sieht den Gesetzgeber gefordert, dass er Möglichkeiten vorsieht, gerade in solchen Verfahren auch einzelne Verfahrensstränge ausscheidet und sich auf das Wesentliche konzentriert, das reiche in der Regel auch für angemessene Strafen aus.
Die Generalprokuratur, die den OGH berät, hatte die Empfehlung abgegeben, die einstigen Urteile weitgehend zu bestätigen. Der Oberste Gerichtshof sei daran grundsätzlich überhaupt nicht gebunden, so Kert. Das sei eine Stellungnahme der Generalprokuratur, der könne er folgen, aber der OGH könne auch gänzlich anders entscheiden.
Bestätigt der OGH das Urteil und damit die Haftstrafen müssten diese sofort angetreten werden, eine etwaige Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hätte keine aufschiebende Wirkung.
Spekulationen über Verfahrensfehler
Laut einem Bericht des „Falter“ sei eine Richterin der Meinung, dass in das Urteil der ersten Instanz ein Teil der Buwog-Ermittlungen eingeflossen sei, der an sich bereits eingestellt war. Sollte sich das erhärten, welche Konsequenz könnte so ein Fehler haben, schließlich dürfe in einer Rechtssache nur einmal rechtskräftig entschieden werden? „Wenn das so stimmt, ich kann darüber auch nur spekulieren, dann wäre es tatsächlich ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot“, so Kert. Dann würde das zu einem Freispruch führen müssen. Ob es sich um einen Fehler gehandelt hat oder nicht, darüber entscheidet ein Senat aus fünf Richterinnen, die einfache Mehrheit gibt dabei den Ausschlag.