Herren-Sneaker um 8,32 Euro, die wiederverwendbare Staubbürste um 3,70 Euro oder die polarisierte Sportbrille um 3,31 Euro. Dazu regelmäßige Rabattaktionen und Glücksräder. Die Attraktivität des chinesischen Online-Händlers Temu erschließt sich schnell: Es ist der Preis, der zählt. „Gratisversand“, thront in grünen Lettern als weiteres „Zuckerl“ auf der Webseite.
Am Ende bietet Temu ein Angebot, das nur ein paar Jahre nach dem Start auch in Europa mittlerweile Abermillionen an Nutzerinnen und Nutzer anzieht. Zugleich gewinnen auch vergleichbare Plattformen wie Shein immer stärker an Popularität.
EU will Gebühren und Kontrollen
Im Einklang mit dem wachsenden Interesse nahm aber auch die Kritik an den Plattformen zu. Die, mittlerweile lange, Liste an Vorwürfen dreht sich um Punkte wie fehlende Produktsicherheit, Plagiate, unlauterer Wettbewerb oder explizite Datenschutzverletzungen. Dazu werden steuerrechtliche Aspekte und Umweltfragen rund um die chinesische Paketflut immer öfter diskutiert. Ein Amalgam, das längst auch die EU-Kommission auf den Plan rief.
In diesen Tagen etwa wurde spruchreif, dass die EU jetzt Gebühren auf die Pakete der chinesischen Online-Händler einführen und die Plattformen darüber hinaus stärker in die Pflicht nehmen will. Diese müssen verpflichtend kontrollieren, dass die angebotenen Produkte legal sind und EU-Sicherheitsnormen entsprechen.
4,6 Milliarden „kleine“ Packerl
Wie aber funktioniert das Prinzip Temu überhaupt? Nun, zentraler Bestandteil der asiatischen Plattformen: Geliefert wird per Direktversand von Produzenten aus China. Einer der Hauptgründe für günstige Preise und verhältnismäßig lange Lieferzeiten. Zugleich sind die Händler selbst nicht in der EU registriert und damit nicht haftbar. Die Plattformen wiederum arbeiten formal nur als Vermittler. Steuerrechtlich kommt ein kompliziertes und ob fehlender Transparenz gerne kritisiertes Verfahren zum Einsatz. Temu selbst hat seinen Europasitz etwa in der irischen Hauptstadt Dublin, in Europa anfallende Einfuhrumsatzsteuer wird deswegen von Irland aus verteilt.
Eine aktuelle und zentrale Zahl für weiterführende Betrachtungen liefert übrigens Brüssel. So wurden laut der Kommission im vergangenen Jahr 4,6 Milliarden Päckchen mit einem Wert von unter 150 Euro – der Zollfreigrenze – in die EU importiert. Dreimal so viele wie 2022, doppelt so viele wie 2023. Was schnell vermuten lässt, dass die größten Treiber dieser Entwicklung die jungen chinesischen Anbieter sind.
Überforderte Behörden
Jeden Tag erreichen zurzeit also mehr als zwölf Millionen derartige Pakete Europa, knapp drei Millionen werden am Flughafen in Lüttich abgefertigt. Dort recherchierte die deutsche ARD vor Ort für einen bemerkenswerten Beitrag rund um Temu, Shein & Co. Der zentrale Befund: Europas Behörden kommen mit etwaigen Kontrollen schlichtweg nicht nach. Außerdem liegt der Verdacht nahe, dass bei der Deklaration der Waren regelmäßig getrickst wird. Nur in Stichproben könnten die Zollbehörden kontrollieren, heißt es etwa vonseiten der belgischen Beamten. Entschieden wird das in Lüttich von einem Algorithmus.
„Es lässt vermuten, dass dieses Produkt mehr als 150 Euro wert ist. Es dürfte also nicht als kleines Paket angemeldet sein“, sagt im ARD-Beitrag eine Flughafenzöllnerin mit Blick auf einen ausgepackten Beamer, der von China aus nach Bayern geliefert werden soll. Sie vermutet einen Betrugsversuch, mit dem Ziel, weniger Steuer und Zoll zu zahlen. Angemeldet war das Beamer-Paket mit einem Warenwert von 54 Euro, vermutet wird ein tatsächlicher Wert von rund 1200 Euro. Eine klassische Unterdeklaration also. „Wir werden mit Waren überflutet und wissen, dass wir mit den Wertangaben betrogen werden. Aber wir sind machtlos und können das nicht kontrollieren“, lässt ein anderer Zöllner in Lüttich wissen.
Auch über einen weiteren Trick sprechen die belgischen Behörden: Aus einer Bestellung werden dann schnell zwei Pakete, deklariert mit Werten von jeweils unter der Freibetragsgrenze von 150 Euro. Wodurch die Zollgebühren wieder umgangen werden und schlussendlich günstigere Preise angeboten werden können.