Es sei die beste Entscheidung gewesen, die er als Jugendlicher hätte treffen können, sagt Julian B. heute. Der 28-Jährige hat einen fixen Job in der Gastronomie, eine Wohnung mit seiner Freundin und steht mitten im Leben. „Für mich war das eine schöne Zeit, die mir wirklich viel gebracht hat.“ Er ist jetzt doppelt so alt wie damals, als er gemeinsam mit seinen Betreuern und seiner Mutter die beste Entscheidung traf: das vertraute Zuhause gegen eine Wohngruppe zu tauschen. „Ich war eine richtige Krätz’n“, denkt er heute sehr reflektiert an sein pubertierendes Ich zurück – „nicht schwer erziehbar, aber ich habe einfach keine Grenzen gekannt.“ Die Mutter war alleinerziehend und überfordert, die finanziellen Verhältnisse waren knapp. B. war klar, dass es so nicht weitergehen konnte: „Ich bin ein Ehrgeizler, wollte mir etwas aufbauen.“ Nach unzähligen Gesprächen mit der Familienbetreuerin und Erziehungshelfern hätte er in ein Kinderheim in der Oststeiermark kommen sollen.

Bis sich die Möglichkeit der SOS-Kinderdorf-Wohngruppe am Weiberfelderweg, draußen im Grünen in Graz-Straßgang, auftat: Er konnte in seiner Schule bleiben, die Mutter weiter sehen, hatte einen strukturierten Tagesablauf, Jugendliche mit einer ähnlichen Geschichte um sich – und Sozialpädagoginnen und -pädagogen, die ihn in allen möglichen Bereichen im Leben weiterbringen konnten, von Fußball bis Finanzen, von schulischer Nachhilfe bis zu Liebesfragen. Geblieben ist er drei Jahre, dann zog er in eine eigene betreute Wohnung, ebenfalls von SOS-Kinderdorf – als Übergang ins selbstständige Leben.

Auch wenn man SOS-Kinderdorf meist mit der klassischen Kinderdorffamilie (wie in Stübing) verbindet, ist das nur ein kleiner Teil: „Der Großteil unserer mehr als 200 stationär betreuten Personen ist in WGs und Wohnungen untergebracht“, klärt Alfred Groß, Leiter SOS-Kinderdorf Graz II, auf. Als Alternative zum langfristigen Zuhause in Familienstruktur werden in den WGs Jugendliche und jüngere Kinder kurz- oder langfristig von wechselnden Pädagoginnen und Pädagogen betreut. „Das kann ein großer Vorteil sein – im Gegensatz zu den geforderten Eltern zu Hause, die ja auch noch einen Beruf haben, haben die Betreuer ein Dienstrad und kommen ausgeruht zurück“, so Groß. Die wichtigste Aufgabe des Betreuerteams: „Die Jugendlichen spüren zu lassen, dass sie wertvoll sind“, sagt die pädagogische Leiterin der WG, Anja Graf. So sucht man bewusst nach Dingen, die gut laufen – „das kann manchmal auch einfach nur sein, dass jemand geduscht hat“, schmunzelt Graf.

13 junge Männer wohnen derzeit in der WG in Straßgang mit eigenem Fußballplatz. Es gibt je zwei Küchen und Wohnzimmer, Einzel- und Doppelzimmer, alle zweckmäßig und modern eingerichtet, teils mit eigenem Bad. „Das entschärft ganz, ganz viele Konflikte“, so Groß. Der allerwichtigste Punkt ist aber: „Das WLAN muss laufen.“