Jede dritte Frau in Österreich ist von Gewalterfahrungen betroffen, und auch die Steiermark reiht sich unrühmlich in diese Statistik ein. Die Problematik, wenn es um Gewalt an Frauen geht? „Sie wird permanent individualisiert und privatisiert“, sagt Andreas Kleinegger, Leiter des Grazer Vinzitels der Vinziwerke, das mit der Notschlafstelle Rosalie eine Unterkunft für Frauen in Notlagen bietet. Nach einem Femizid heiße es zu oft: „Frauen haben den falschen Mann oder den falschen Freund. Sie machen immer etwas falsch.“ Man müsse jede Gewalttat dem „grundsätzlichen System von patriarchaler Gewalt“ zuordnen und als Hassverbrechen benennen, so Kleinegger, der einen „Arbeitsauftrag für uns alle, als Gesellschaft“ sieht und mehr Tun von der Politik fordert. „Die Frauenorganisationen wissen genau, an welchen Stellen man schrauben muss.“
Angelika Vanek-Enyinnaya ist die Chefin der Schwalbe, ein Zuhause für Frauen in Lebenskrisen. Sie hat die Initiative einst gegründet, als sie in der stationären Psychiatrie gesehen hat, dass viele Frauen Angst vor der Entlassung haben. „Weil sie wissen, dass es niemanden gibt, der sie weiterträgt.“ Vanek-Enyinnaya hat die Lücke geschlossen. Gemeinsam mit zwei anderen ausgebildeten Betreuerinnen bietet sie den Bewohnerinnen Geborgenheit, verlässliche Bezugspersonen, einen strukturierten Tagesablauf. In der Gesellschaft würde sie sich „genaueres Hinschauen“ wünschen, was Gewalt angeht. „Man weiß: Frauen, die als Kinder Gewalt erlebt haben, erleben oft Gewalt als Erwachsene. Das könnte man oft verhindern.“ Die Schwalbe als Einrichtung ist von privaten Spenden abhängig. Bei der öffentlichen Hand „müssen wir jedes Jahr als Bittstellerin zu Kreuze kriechen“, sagt Vanek-Enyinnaya. „Es ist ein Kampf ums Überleben, dass es mit uns weitergeht.“
Dass jede dritte Frau in Österreich Gewalt erleben muss, ist für Georg Ganser und Petra Petschner vom Haus FranzisCa der Caritas ein systemisches Problem. Es fange bei der Kinderbetreuung an, bei den ungleichen Chancen am Arbeitsmarkt. Kann eine Frau nicht genug arbeiten oder verdienen, rutscht sie schnell in die Abhängigkeit. Ganser betont: „Finanzielle und räumliche Abhängigkeit – meist von Männern – ist die Vorstufe zu direkter Gewalt.“ Im Haus FranzisCa ist die Solidarität unter den Frauen spürbar, betonen Ganser und Petschner. Wenn eine wieder ausziehen kann und dem selbstständigen Leben einen Schritt nähergekommen ist, sei das das Schönste. Was sich die beiden Experten wünschen? Dass immer wieder darauf aufmerksam gemacht wird: Das System, in dem wir leben, benachteiligt, verletzt und tötet Frauen im schlimmsten Fall. „Es gibt noch viel zu tun.“
Für Michaela Gosch, Chefin der Steirischen Frauenhäuser, ist es nicht verwunderlich, dass viele Frauen sich keine Hilfe holen, bevor etwas passiert: „Wir sehen, dass die Frauen die Angebote einfach nicht rechtzeitig kennen. Es ist wichtig, dass Frauen überhaupt einmal wahrnehmen, dass sie von Gewalt betroffen sind. Ich sage immer: Wenn man in einer Beziehung Angst vor einer Reaktion hat, dann sollte man Hilfe holen. Lieber zu früh als zu spät.“ Die Gründe, warum etwa 30 Prozent der Frauen nach einer Gewalttat bei ihrem Partner bleiben, sind vielfältig, so Gosch: „Oft gibt es finanzielle, soziale oder emotionale Abhängigkeiten. Oder es sind Kinder im Spiel. Wir versuchen auch mit dem Täter so zu arbeiten, dass er Vater bleiben kann und auch so die Gewaltspirale durchbrochen wird. Weil wir ja auch wissen, dass Kinder, die mit Gewalt aufwachsen, später selbst oft in gewaltvollen Beziehungen landen, und zwar auf beiden Seiten, als Opfer und als Täter.“
Im Rahmen der Sommerserie „Stark gegen Gewalt“ hat „Steirer helfen Steirern“ zu Spenden aufgerufen, um diese wertvollen Stützpfeiler in der steirischen Soziallandschaft – Notschlafstelle Rosalie der Vinziwerke, die Wohn- und Beschäftigungsinitiative Schwalbe und die Notschlafstelle FranzisCa der Caritas und die Steirischen Frauenhäuser – finanziell zu unterstützen. Als Ergebnis dieser Spendenaktion konnte jedem der vier Vereine und Institutionen eine Förderung in der Höhe von 10.000 Euro übergeben werden, die mithelfen, betroffenen Frauen zu unterstützen.
Was kommt:
Lesen Sie ab 26. Juli im Auftakt der aktuellen „Steirer helfen Steirern“-Sommerserie „Große Hilfe für kleine Herzen“, mit welchen Herausforderungen Familien mit chronisch kranken Kindern oder Kindern mit Behinderung konfrontiert sind und welche Anlaufstellen unter anderem Hilfe leisten.