Katja Pschait hört einen Satz. Und es ist so, als ob dieser Satz bei einem Ohr hineingeht und bei dem anderen gleich wieder hinaus. Ihr Kopf ist leer. Zu unbegreiflich ist das, was ihr der Arzt gerade mitteilt. "Frau Pschait, nächste Woche nehmen wir Ihnen den Fuß ab."
Es ist ein Dienstag im September 2018. Katja Pschait ist 22 Jahre alt. Ihre Schwester ist 19, sie sitzt neben ihr im Krankenhaus. Die Geschwister schauen sich an. Ist das ein Scherz? Katja Pschait steigen die Tränen in die Augen.
Die Diagnose lautet Synovialsarkom. Ein bösartiger, aggressiver und seltener Tumor. Er hat das Bindegewebe in Katjas rechter Fußschaufel angegriffen. Schon länger hatte sie dort Schmerzen. Aber das führte sie auf eine Verletzung zurück. Im März, einen Tag vor ihrer Geburtstagsfeier, trifft sie ein Stehtisch am Fuß. Ein Mann hatte ihn im Klub umgeschmissen.
Verdrängung
Der Fuß schwillt an, blau-violette Blutergüsse bilden sich. Mehr als einmal geht Katja ins Krankenhaus, denn es hört nicht auf, wehzutun. Der Arzt ordnet ein MRT an. Zwei Monate wartet Katja auf den Termin, das Ergebnis: ein Blutschwammerl, also ein gutartiger Tumor, davon geht man aus. Er soll operativ entfernt werden.
Doch ganz sicher sind sich die Mediziner nicht. Am Tag der Operation nehmen sie noch eine Probe, zwei Wochen später hört Katja den unfassbaren Satz, bekommt ihre Diagnose. Sie verdrängt die Vorstellung einer Amputation. Sie will ihren Fuß nicht aufgeben, hat Angst. "Ich habe das nicht wahrhaben wollen", erzählt die 27-Jährige heute, während sie Kater Jack über den Kopf streicht. Er ist immer in ihrer Nähe, wenn sie daheim ist, entfernt sich nie weiter als ein paar Meter von der Wohnung in Gralla.
Katja entscheidet sich zunächst gegen die Amputation. Nach der Diagnose probiert sie alles, was die alternative Medizin hergibt, nimmt keinen Zucker zu sich, besucht sogar einen Schamanen, versucht es mit Esoterik. Alle drei Monate geht sie zur Kontrolle ins Krankenhaus. Sie arbeitet. Zuerst einen Winter lang in einem Restaurant, sie ist gelernte Gastronomiefachfrau. Dann macht sie Schichtarbeit, verpackt in einer Firma Tabletten, kontrolliert die Vorgänge auf den Fließbändern. Fast zwei Jahre lang geht das halbwegs gut.
Wölbung am Fuß
Bis zum 26. November 2020. Da werden die Schmerzen unerträglich. Sie bricht ihre Nachmittagsschicht ab. Am Abend ist es kühl in der Wohnung, als die 24-Jährige sich kuschelige Socken anzieht, bemerkt sie eine Wölbung an ihrem rechten Fuß. Am nächsten Tag ruft sie im Krankenhaus an, am 7. Dezember wird ihr Unterschenkel amputiert. "Ich hatte so Angst, dass ich aufwache aus der Narkose und komplett am Rad drehe. Aber in dem Moment ist der Arzt vorbeigegangen und hat die Decke weggetan. Mein Bein war dick eingebunden, ich habe heruntergeschaut und nur gedacht: Okay."
Von da an weiß Katja Pschait: Sie kann das schaffen. Sie ist die, von der alle sagen, dass sie immer so viel lacht. Und die will sie auch bleiben. Als ihr die Psychologin im Krankenhaus erzählt, dass eine ältere Patientin so beeindruckt von ihr ist – von dieser jungen Frau, die ihren Fuß verloren hat und trotzdem auf der Station im Rollstuhl herumflitzt –, schöpft sie daraus Kraft. Sie möchte Vorbild für andere sein. Ihre Familie, die drei Schwestern, die Halbschwester und ihre Freunde sind für sie da. Einen Monat nach der Operation macht sie in der Reha ihre ersten Schritte mit der Gehprothese.
Ein Stück vom alten Leben
"Natürlich habe ich auch heute noch meine Einbrüche. Ich habe Phasen gehabt, da war ich nur in mir selber versunken. Aber es wäre ja auch blöd, wenn ich immer nur daheimsitzen und weinen würde. Dafür bin ich viel zu gern unterwegs." Vier Monate ist sie im Krankenstand, dann arbeitet sie wieder Schicht. Schnell lernt sie, mit ihrem blauen Seat Leon zu fahren. Das Auto bedeutet für sie auch einfach Freiheit. Sie versucht die Beleidigungen, die blöden Sprüche in der Disco – und generell in der Öffentlichkeit – so gut es geht, von sich abprallen zu lassen. "Da muss ich schon einstecken, da denk ich mir oft: He, mir fehlt zwar ein Stück, aber ich bin trotzdem ein Mensch", sagt die 27-Jährige. Im Juli startet Katja die Lehre zur Finanz- und Rechnungswesenassistentin. In der Gastronomie kann sie nicht mehr arbeiten, das würde ihre Hüfte zu sehr beanspruchen. "Aber ich bin draufgekommen, dass ich mir Zahlen leicht merken kann. Ich freue mich auf die Lehre."
Bald will sich die junge Frau noch einen Teil ihrer Selbstbestimmung zurückholen. Mit der Unterstützung von "Steirer helfen Steirern" und "Licht ins Dunkel" bekommt sie eine Sportprothese. Damit kann sie wieder joggen und wandern, fast so wie vor der Amputation. Katja grinst, wenn sie das erzählt. Auf was sie sich ganz besonders freut: ihrem eineinhalb Jahre alten Neffen hinterherrennen zu können.