Die Herausforderungen vor denen die Kirchen stehen, sind groß: Die Gesellschaft wird immer pluraler, ihre Werte leitet sie dabei immer seltener von der Religion ab. Religion ist immer seltener im öffentlichen Raum präsent, sondern wird immer mehr zur Privatsache. Gläubige haben zudem durch die Corona-Lockdowns den Kontakt zu ihrer Religionsgemeinschaft verloren, wobei Spiritualität nach wie vor vielen Menschen wichtig ist. Unter dem Motto „Vom Wert des Glaubens“ diskutierten nun im UZT der Uni Graz Pastoraltheologin Regina Polak, der Religionssoziologe Detlef Pollack und der evangelische Theologe Ulrich Körtner über die künftige Rolle des Christentums in der Welt.
Angesichts verlorener sozialer und gesellschaftlicher Relevanz seien Kirche und Glaube aufgefordert, sich in „Mehrsprachigkeit“ zu üben, das heiße ihre Anliegen und Überzeugungen säkular zu übersetzen, ohne das Eigene dabei aufzugeben, so der Tenor.
Glaubwürdig und solidarisch
Die Kirche sei heute gefordert, sich nicht allein an säkulare Erwartungen auszurichten, sondern durch ein selbstbewusstes, solidarisches und glaubwürdiges Auftreten gesellschaftlich relevant zu bleiben, zeigten sich die drei Theologen überzeugt. Religiöse Anliegen müssten so vermittelt werden, dass sie auch außerhalb kirchlicher Räume verstanden werden. Zugleich gebe es aber auch das „Unübersetzbare“, das den Eigenwert des Religiösen ausmacht und sich nicht vollständig in gesellschaftliche Kategorien übertragen lässt. Daraus ergibt sich die Aufgabe, dass Kirche und Gläubige „mehrsprachig“ in die Gesellschaft hineinwirken sollten, ohne dabei politisch instrumentalisiert zu werden.
Zu Beginn hatten die drei in Impulsvorträgen die massiven Transformationsprozesse im Verhältnis von Religion, Kirchen und Gesellschaft skizziert. Die „soziale Notwendigkeit von Religion“ sei nicht mehr gegeben, erklärte Religionssoziologe Pollack. Studien würden belegen, dass die wichtigste Quelle für den Zusammenhalt heute die Wirtschaft sei. Der Zuständigkeitsbereich der Religion begrenze sich für immer mehr Menschen rein auf das Religiöse. Deshalb solle sich die Kirche auf ihre eigenen Kompetenzen, wie etwa das „Dasein für Schwache“ und „ehrenamtliches Engagement“ konzentrieren, plädierte Pollack.
Pastoraltheologin und Werteforscherin Regina Polak knüpfte ebenfalls an aktuelle empirische Befunde an. Mit Blick auf die Studie „Was glaubt Österreich?“ stellte sie fest: „Der Glaube an einen persönlichen Gott hat einen Tiefpunkt erreicht.“ Bei der Frage, woher Menschen ihre Orientierung bei moralischen Entscheidungen beziehen, liege „Religion“ an vorletzter Stelle. Das Christentum werde vielfach nur noch als „kulturelles Erbe“ wahrgenommen. Damit gehe nicht selten eine Ablehnung von Minderheitengruppen einher.
Der Wiener evangelische Theologe Ulrich Körtner unterstrich die Notwendigkeit, angesichts eines schwindenden gesellschaftlichen Zusammenhalts jene Kräfte zu stärken, die das Verbindende in der Demokratie über das Trennende stellen. Dazu könne auch Religion zählen. Schließlich seien der säkulare demokratische Rechtsstaat und eine pluralistische Gesellschaft „auf Bindekräfte angewiesen, die über die bloße Befolgung von Rechtsvorschriften und materielle Bedürfnisbefriedigung hinausgehen. Das Christentum kann hier eine gemeinwohlfördernde Rolle spielen“, so Körtner.