Mitarbeiter der Bestattung tragen am Dienstagnachmittag einen kleinen grauen Sarg aus einem Mehrparteienhaus in Graz-Wetzelsdorf. Der winzige Mensch, den der Sarg umhüllt, ist erst am Abend zuvor geboren worden. Das Licht der Welt durfte er nicht mehr erblicken.

Die 20-jährige Mutter soll den Buben gleich nach der Geburt aus dem Dachflächenfenster ihrer Wohnung geworfen haben, so der schreckliche Verdacht. Das Landeskriminalamt ermittelt gegen die junge Kroatin wegen eines Tötungsdelikts. Sie ist geständig, befindet sich vorerst weiter im Krankenhaus.

Verdächtiger „Gegenstand“

Es war ein Nachbar, der gegen 13 Uhr etwas Verdächtiges am Dach eines Carports wahrgenommen hatte. Als er den „Gegenstand, der dort nicht hingehört“ näher in Augenschein nahm, stockte ihm der Atem. Auf dem Dach lag ein nackter, lebloser Säugling. Sofort alarmierte er die Rettung, der Notarzt konnte aber nur noch den Tod des Babys feststellen. Auch die Polizei rückte an, sie konnte aber in dem Wohnhaus vorerst niemanden antreffen. Rund um den Fundort, der in einer ruhigen Wohngegend liegt, wurde die Straße abgesperrt. Tatort- und Mordermittler nahmen die Arbeit auf, nach den Bewohnern wurde polizeilich gefahndet.

Von Geburt überrascht

Kurze Zeit später griffen Polizisten die Kindesmutter nicht weit von ihrer Wohnung entfernt auf. Nach anfänglichem Leugnen erzählte sie den Beamten, dass sie das Kind am Vorabend alleine zur Welt gebracht, die Nabelschnur abgetrennt – und sich dann des Säuglings entledigt habe. „Sie sagt, die Geburt hat sie überrascht, von der Schwangerschaft habe sie und auch ihr Umfeld nichts mitbekommen“, so Markus Lamb, Sprecher der Landespolizeidirektion. Die 20-Jährige wurde von einem Kriseninterventionsteam psychologisch betreut, mit Notarztbegleitung ins Spital gebracht und dort operiert. Gleichzeitig ordnete die Staatsanwaltschaft die Festnahme der Frau an.

Es drohen bis zu fünf Jahre Haft

Am Mittwoch (Stand 11 Uhr) stand das Ergebnis der gerichtsmedizinischen Obduktion des Leichnams noch aus. Von diesem erhofft man sich Erkenntnisse darüber, ob das Kind bei der Geburt noch gelebt hat, was die genaue Todesursache und der Todeszeitpunkt war. Das ist deshalb relevant, weil der Verdacht auf Kindstötung nach der Geburt im Raum steht. Der Strafrahmen beträgt in diesem Fall bis zu fünf Jahre Haft und damit unter jenem für Mord.

Tatortbeamte vor dem Carport, auf dem der Säugling gefunden wurde
Tatortbeamte vor dem Carport, auf dem der Säugling gefunden wurde © Rombold

Befragt wird derzeit auch noch das Umfeld der jungen Frau. Sie lebte allein in der Wohnung, ihre Familie bewohnt andere Räumlichkeiten in dem zweistöckigen Haus. Der Vater des Kindes ist der Polizei zwar bekannt, mit der schrecklichen Tat ist er aber nicht in Zusammenhang zu bringen. Er hatte mit der 20-Jährigen nicht gemeinsam gelebt, offenbar gab es kaum Kontakt.

Anonyme Babyklappe

Graz verfügt am Gelände des LKH-Uni-Klinikums über eine Babyklappe. Der Standort ist bei der Geburtshilflichen Ambulanz. Das letzte Mal wurde im Jahr 2021 ein Kind in der Babyklappe abgelegt. Seit 2001 wurde die Klappe in Graz sechs Mal genutzt. Viel häufiger wird die Möglichkeit der anonymen Geburt gewählt. Heuer war das am Uniklinikum Graz zwei Mal der Fall, im Vorjahr ein Mal und 2023 gab es sechs anonyme Geburten.
Die Möglichkeit der „anonymen Übergabe“ eines Säuglings wurde zuletzt im Jahr 2020 ergriffen.

Kind in der Tiefgarage

Für Aufsehen sorgte im Sommer der Fund einer Babyleiche im Europapark in Klagenfurt. Von den Eltern des Buben fehlt jede Spur. Daran haben auch positive Ermittlungsergebnisse nichts ändern können, wie zuletzt bei der DNA-Analyse. 

Schlagzeilen schrieb zudem eine Weststeirerin, die im Dezember 2019 ihr Baby in einer Tiefgarage weggelegt hat. Die Frau hatte im Mai 2020 zunächst eine Diversion vor Gericht erhalten, kam aber den damit verbundenen Auflagen nicht nach. Das Verfahren musste wieder aufgenommen werden.