Remco Evenepoel schlug die Hände vor sein Gesicht, schüttelte den Kopf, breitete die Arme triumphierend aus und rollte nach einer wahren Triumphfahrt jubelnd über den Zielstrich. Der belgische Jungstar, der soeben erst die Vuelta gewonnen hatte, stürmte bei der Rad-WM in Australien erstmals zum Titel. In einem Rennen, das von einem Skandal überschattet war: Denn Mitfavorit Mathieu van der Poel wurde in der Nacht vor dem Rennen in Polizeigewahrsam genommen - weil er im Hotel ausflippte.

Der Star des Tages war aber zweifellos der 22-jährigeEvenepoel, der sich nach 266,9 Kilometern und 6:16:08 Stunden in Wollongong vor dem Franzosen Christophe Laporte und dem Australier Michael Matthews durchsetzte - und das mit Respektabstand: 2:21 Minuten verloren die beiden weiteren Medaillengewinner bereits. Damit bewegt sich das "Jahrhunderttalent" Evenepoel immer mehr auf den Spuren seines legendären Landsmannes Eddy Merckx, der 1967 ebenfalls im Alter von 22 Jahren seinen ersten WM-Titel gewann.

"Werde mein Bett nicht sehen"

"Davon habe ich geträumt. Ich glaube, ich habe alles gewonnen, was ich heuer gewinnen konnte", freute sich Evenepoel. "Ich werde heute Nacht mein Bett nicht sehen", prophezeite er eine Party. "Ich glaube nicht, dass ich jemals eine bessere Saison als diese haben werde."

Es war eine beeindruckende Show von Evenepoel, der die Nachfolge des Franzosen Julian Alaphilippe antrat, der zuletzt 2020 und 2021 triumphiert hatte. 72 km vor dem Ziel setzte er sich mit einer größeren Gruppe von den Mitfavoriten wie Tadej Pogacar (Slowenien), Matthews oder Alaphilippe ab. Bei einer weiteren Tempoverschärfung zwei Runden vor Schluss konnte dann nur noch der Kasache Alexej Luzenko folgen, der aber 26 km vor Schluss gegen den Belgier auch nichts mehr ausrichten konnte.

Van der Poel und ungebetene Hotelgäste

Für den großen Aufreger sorgte allerdings van der Poel, der am Vorabend für einen Skandal gesorgt hatte und zwischenzeitlich wegen eines tätlichen Angriffs im Hotel festgenommen wurde. Es hatte eine Auseinandersetzung mit zwei Jugendlichen im Alter von 13 bzw. 14 Jahren gegeben, die mehrmals an seiner Tür geklopft hatten. Berichten zufolge wurde der Arm eines Mädchens verletzt, als der entrüstete van der Poel aus dem Zimmer stürzte und im Zuge einer lauten Diskussion eines der beiden Kinder gestoßen haben soll. Der 27-Jährige wurde wegen zweifacher Körperverletzung angeklagt und am frühen Sonntagmorgen auf Kaution wieder freigelassen.

Am Dienstag muss Van der Poel vor Gericht erscheinen. Der frühere Cross-Weltmeister ging im Straßenrennen noch an den Start, gab nach gut einer Stunde aber auf.

"Es stimmt, ja. Es gab einen kleinen Streit", sagte van der Poel dem belgischen TV-Sender Sporza vor dem Start. "Es ging um laute Nachbarn und die sind hier ziemlich streng." Er sei früh ins Bett gegangen. Viele Kinder im Flur seines Zimmers hätten es aber notwendig gefunden, an die Tür zu klopfen. "Nach ein paar Mal war ich damit fertig. Ich bat nicht freundlich darum aufzuhören. Dann wurde die Polizei gerufen. Ich war erst um 4 Uhr wieder in meinem Zimmer. Das ist sicher nicht optimal. Es ist eine Katastrophe, aber ich kann nichts mehr ändern." Vor allem war van der Poel damit kein Konkurrent mehr von Evenepoel.

Evenepoel liefert weiter ab

Evenepoel wird in seiner Heimat bereits als der neue Eddy Merckx gefeiert. Und seine Entwicklung ist verblüffend. 2016 war er noch Junioren-Nationalspieler beim belgischen Fußball-Rekordmeister RSC Anderlecht, mit 16 Jahren lief er auch den Brüsseler Halbmarathon in 1:16:15 Stunden, ehe der Bursche aus Schepdaal die Liebe für den Radsport entdeckte. Nur zwei Jahre später war Evenepoel, dessen Vater Patrick auch für einige Jahre Radprofi war, schon Doppel-Weltmeister bei den Junioren. Genauso furios war sein Einstieg bei den Profis mit WM-Silber im Zeitfahren 2019, ehe ihn ein schwerer Sturz bei der Lombardei-Rundfahrt 2020 mit einem Beckenbruch zu einer neunmonatigen Pause zwang.

Auch Vater Patrick Evenepoel wurde in einem Café in de Rustberg in Schepdaal gefeiert wie sein Sohn, der Weltmeister
Auch Vater Patrick Evenepoel wurde in einem Café in de Rustberg in Schepdaal gefeiert wie sein Sohn, der Weltmeister © APA/AFP/BELGA/JEF MATTHEE

Bester Österreicher war Sebastian Schönberger, der mit 3:01 Minuten Rückstand als 40. ins Ziel kam. „Es war ein superhartes Rennen, dass gleich am ersten Anstieg von den Franzosen eröffnet wurde. Ich habe mich gut gefühlt, aber leider den Sprung in die Spitzengruppe verpasst“, erklärte Schönberger, der sich in eine prominent besetzte Ausreißergruppe mischen wollte, die sich an der ersten größeren Steigung des Rennens, den Mount Keira nach gut 30 gefahrenen Kilometern bildete. „Wir haben viel probiert, der Plan war es eine gute Gruppe zu erwischen, die erst spät von den Favoriten dann eingeholt wird und so ein gutes Ergebnis zu holen“, erklärte Tobias Bayer, der mit sechs Minuten Rückstand als zweitbester Österreicher auf Rang 62 landete.

„Ich bin einige Male mitgesprungen, aber immer genau zur falschen Zeit. Es war echt ein verrücktes Rennen, da waren teilweise viele im Feld recht planlos, hatten den Überblick verloren, wer überhaupt vorne noch fährt“, so Bayer, der ansprach, dass bei Weltmeisterschaften ja im Gegensatz zu den Rennen der World Tour, der Funk verboten ist und somit die Fahrer keinen direkten Kontakt zum Betreuerauto haben. Tobias Bayer (+6:11) und Felix Gall (+11:28 Min.) landeten auf den Rängen 62 bzw. 97.