Der Autor erinnert sich gut. Wir saßen ihm als Studierende buchstäblich zu Füßen, als der Lyriker Erich Fried im vollen Hörsaal der Universität den Satz sprach: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, will nicht, dass sie bleibt.“ Die Verszeilen sind zum Refrain geworden, wenn die Pflicht zur Veränderung besungen wird. Man kann das Ethos des Wandels, des Rüttelns am Bestehenden wie Fried politisch deuten, im Sinn einer Besserung der Welt, der Satz lässt sich aber genauso gut auf das eigene Leben übertragen. André Heller, der Lehrwart der Selbstverwandlung, beschreibt gelingendes Werden als Prozess der Selbstverfeinerung und Selbstkultivierung. Sich selbst treu bleiben hält er für eine gefährliche Drohung, für eine Verfestigung des Unfertigen und Rohen. Er wolle nicht bleiben, der er war.

Die Pflicht, nicht zu erstarren und sich dauerhaft weiterzudenken, gilt freilich erst recht für das Wirtschaftsleben. Wer will, dass ein Unternehmen bleibt, wie es ist, will nicht, dass es bleibt: Erich Fried als Change Manager. Kaum ein Betrieb oder auch kaum eine Branche, wo das Axiom nicht zuträfe. Der Sog des Wandels hat alle erfasst, die Großen und die Kleinen, die Erfolglosen wie die Erfolgreichen. Letztere sind besonders gefährdet. Da hat es der Blick in den Abgrund leichter. Ein Weiter-so verbietet sich als Option, der Erfolg hingegen verführt dazu. Er ist in Zeiten tiefer Umbrüche ein süßes Gift und Selbstbetäubungsmittel. Die Galerie der Opfer ist groß. Sie reicht von Nokia bis Kodak. Sie schliefen den Schlaf der Erfolgsverwöhnten.

Adaptive Intelligenz als Schlüsselfaktor

Es überleben nicht die Stärksten, der Satz aus der Evolutionslehre ist ein Fake, eine Fehlübersetzung. Darwinsprach von den Wandlungsfähigsten, die die Stürme des Fortschritts siegreich überstehen würden. Die adaptive Intelligenz mache den Unterschied, nicht die Dominanz. Etablierte Märkte tun sich da schwer. Es ist ein interessantes Phänomen, dass sich die Kraft der Erneuerung selten aus dem Bewährten heraus entfaltet. Auffallend oft kommt das Neue frech von außen, befreit von der Hypothek der Vergangenheit: Tesla ging nicht aus der Automobilbranche hervor, Airbnb nicht aus dem Hotelgewerbe, Uber nicht aus der Taxibranche. Und leider Facebook nicht aus dem Kosmos herkömmlicher Medien.

Die Rolle der Zeitung im Wandel

Die Digitalisierung war für die Zeitungsindustrie ein Naturereignis, eine Revolution, vergleichbar mit der Erfindung des Buchdrucks. Die gedruckte Zeitung war plötzlich kein Überbringer von Nachrichten mehr, die digitalen Kolporteure sind flinker. Das Gedruckte musste seine Rolle neu finden wie das Kino im Wettbewerb mit dem Fernsehen und das lineare Fernsehen im Wettstreit mit dem Fernsehen der Streaming-Riesen. Das Kino wurde Treffpunkt, das Fernsehen wird zur digitalen Bewegtbild-Plattform und die Zeitung wird zumtäglichen Magazin. Sie sagt nicht, was passiert, sie sagt, was es bedeutet. Sie bietet Orientierung in den Stromschnellen der digitalen Flut und bemüht sich auf den eigenen digitalen Plattformen um verlegerische Abgrenzung zu den Sitten und Unsitten der sozialen Netzwerke.

Das Monopol der Publikation und der Deutung hat die Zeitung eingebüßt, das hat ihr gutgetan. Sie hat den Hochsitz verlassen und wurde zugewandter, dialogischer. Sie versteht sich im neuen multimedialen Universum als Angebot an die Gesellschaft, mit sich selbst ins Gespräch zu kommen. Das ist in Zeiten der Dialogverweigerung und tribalistischer Lagerbildungen ein hartes Brot, aber ein nahrhaftes und unverzichtbares.
Die Zeitung hat die Digitalisierung zuerst als Bedrohung wahrgenommen und dann die Bedrohung lernend umarmt. Lange war sich die Branche selbst der größte Bedrohungsfaktor. Sie verschenkte sich und ihre journalistische Identität im Netz, ehe sie spät den Irrweg erkannte. Das war törichter als Nokia und Kodak. Es war kein Versäumnis im Schlaf, es war ein Blockout bei vollem Bewusstsein. Heute wissen die Verlage: Ohne zahlungs- und bindungsbereite digitale Leser lässt sich Journalismus nicht refinanzieren. Der zahlungs- und bindungsbereite Staat ist keine Option. Sie käme der Selbstpreisgabe gleich.

Neue Erzählformen: Podcast, Push-Nachricht, Videosendung

Es bleiben nur die Allianz mit der Leserschaft und das Bündnis mit den neuen Möglichkeiten digitalen Erzählens. Das verlangt Redaktionen viel Wandlungs- und Lernbereitschaft ab. Sie werden zu einem komplexen, beweglichen Organismus, mit digital affinen Reportern, Datenexperten und Story-Managern, die entscheiden, auf welchem Kanal eine Geschichte wie ausgespielt wird. Die Gespräche mit den Virologen erschienen als Podcast, jeder vierte Jugendliche lauscht Inhalten über neonfarbene Kopfhörer. Das Handballspiel der Bärnbacher gegen Ferlach übertrugen wir live in der App. Thiems Zwischenstände gegen Nadal kolportierten wir als Push-Nachricht. Für den neuen Literatur-Newsletter registrierten sich Hunderte vorab. Für das Video-Interview mit dem „Koch des Jahres“ setzte unser Reporter eine Drohne ein, die den Hof aus der Luft filmte. Mit dem Korrespondenten aus New York besprachen wir im Fernsehstudio die US-Wahl und schalteten auch den Botschafter aus Washington dazu. Und die heutige Geburtstagsausgabe soll pure Zeitung sein. Das gedruckte Wort behält seine Autorität, aber es herrscht nicht mehr absolut. Der Solist macht Platz für das Orchester. Klingen soll die gute Story. Ihr wird immer ein Zauber innewohnen. Daran hat sich seit Homer nichts geändert.

Was wir gelernt haben: Veränderung ist selten nur lustvoll. Oft stehen am Beginn Ängste und Zweifel und errichten Barrikaden: Mechanik der Biologie. Was hilft: offenes Reden. Und vielleicht die Seite eins als Inspiration: Nur Mut! Veränderung ist kein Selbstzweck. Die Zeitung verändert sich, weil sich die Mediennutzung verändert hat. Sie wird in der Fläche digital. Digital heißt mobil. 160 Mal greifen Jüngere am Tag zum Smartphone. Es ist kein Endgerät mehr, sondern ein Körperteil. Sich dem Dauerdruck des digitalen Reizes nicht bis zur Ich-Erschöpfung auszuliefern, bleibt Aufgabe im Sinne der Selbstkultivierung. Das bezieht Medien in die Verantwortung mit ein. Auch in den digitalen Ausgaben wollen wir wiedererkennbar wir sein und das Qualitätsversprechen, das in der Marke eingewoben ist, einlösen. Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit bleiben auch im Wandel Konstanten. Sonst bliebe nur die Teilhabe am Getöse.

LESETIPP: Unser großes Special zu Zeiten des Wandels