Nach der Wahl ist vor den Koalitionsverhandlungen: Der Tiroler ÖVP-Chef Anton Mattle hat bei der gestrigen Landtagswahl in Tirol zwar fast 10 Prozentpunkte verloren, kann mit dem Ergebnis von 34,7 Prozent der gültigen Stimmen aber relativ gut leben: Mattle will Landesparteichef bleiben - und Tiroler Landeshauptmann werden. Beim Parteivorstand am Montag hat die Partei bereits ein Sondierungsteam für die Regierungsverhandlungen zusammengestellt und lässt sich fast alle Möglichkeiten offen.

Denn eine Koalition zu finden, könnte diesmal schwierig werden: Eine Fortsetzung der schwarz-grünen Regierung ist nicht mehr möglich, dafür haben die beiden bisherigen Regierungspartner zu wenig Stimmen im neuen Landtag. Die Volkspartei muss sich folglich einen neuen Partner suchen.

Dafür kündigte ÖVP-Landeschef Mattle nach dem Landesparteivorstand am heutigen Montag an, mit allen Landtagsparteien Gespräche über eine Zusammenarbeit im Landtag führen zu wollen. Auch über eine mögliche Regierungszusammenarbeit soll mit allen Parteien außer der FPÖ gesprochen werden. Immerhin brauche es für eine Regierung besonders viel Vertrauen, "deshalb hier die klare Kante", erklärte Mattle. Auf eine Zweierkoalition hat sich die Volkspartei heute noch nicht festgelegt, die "inhaltlichen Schnittmengen" würden entscheiden.

Wirtschaftsbund schließt Varianten aus

Vor allem der Wirtschaftsbund drängt auf eine Zweier-Variante, womit eigentlich nur eine Koalition mit der SPÖ übrig bleibt. Ob diese auch kommt, wollte Mattle am Sonntag auf Nachfrage nicht beantworten. Dennoch bleibt eine "große Koalition" das wahrscheinlichste Szenario. ÖVP und SPÖ wurden im Vorfeld der Wahl auch am häufigsten bei der Frage, wer in der Regierung sitzen soll, genannt - und die Sozialdemokraten wären wohl auch innerhalb der Volkspartei die einfachste Wahl.

Immerhin betonte Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser vor der Vorstandssitzung zusätzlich, dass für den Wirtschaftsbund keine Zusammenarbeit mit den NEOS in Frage kommt. Ob sich an dieser Position etwas verändert habe, wollte ÖVP-Chef Mattle heute nicht beantworten: Da es vereinbart gewesen sei, dass er heute nur ein Statement abgebe, beantwortete er keine weiteren Fragen der anwesenden Journalistinnen und Journalisten. "Ein ander Mal machen wir wieder Interviews", sicherte der wahrscheinliche neue Landeshauptmann aber zu.

Ohne die Neos sind selbst die Möglichkeiten für eine Dreierkoalition Mangelware: ÖVP, Liste Fritz und Grüne hätten zwar eine Mehrheit, Grüne und ÖVP haben sich nach fast einem Jahrzehnt der Koalition auseinandergelebt - und die Liste Fritz eigentlich eine Zusammenarbeit mit der Volkspartei ausgeschlossen.

Gesundheitslandesrätin Leja zieht sich zurück

In dieser komplizierten Gemengenlage stellt Mattle nun den Führungsanspruch. Dafür stellt die ÖVP ein Verhandlungsteam zusammen, dem neben Mattle die Landesräte Johannes Tratter und Josef Geisler, Gerber, die EU-Abgeordnete Barbara Thaler und Klubobmann Jakob Wolf angehören werden. Schon jetzt ist klar, dass ÖVP-Gesundheitslandesrätin Annetta Leja der neuen Regierung aus persönlichen Gründen nicht angehören wird. Bei der gestrigen Landtagswahl war sie auf dem 6. Listenplatz für die ÖVP angetreten.

Leja war nach dem Rückzug von Bernhard Tilg (ÖVP) im Mai 2021 gemeinsam mit dem nunmehreigen ÖVP-Chef Mattle in die Tiroler Regierung eingezogen. Für sie sei immer klar gewesen, dass sie Mattle und der Tiroler Volkspartei, "auch über die Wahl hinaus", mit ihrer Expertise zur Seite stehe - allerdings "nicht zwingend als Regierungsmitglied oder Landtagsabgeordnete", schrieb Leja heute. Sie werde allerdings auch "bis zur Angelobung der neuen Regierung inhaltlich weiterarbeiten, um nachhaltige Lösungen auf den Weg zu bringen", so die ÖVP-Politikerin in ihrer Erklärung, die die "Tiroler Tageszeitung" online veröffentlichte.

Mattle will inhaltliche Erneuerung

Obwohl Mattle mit Verweis auf deutlich schlechtere Umfragen von einem "durchaus respektablen Ergbenis" spricht, will er die Volkspartei erneuern und einen "inhaltlichen und programmatischen Prozess starten", um das "Profil einer bürgerlichen Partei" zu schärfen. Man müsse jetzt "Schritte in Richtung Erneuerung und neues Denken" setzen, um das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen, so Mattle am Montag. Diese Entscheidung dürfte neben dem starken Verlust auch das schlechte Abschneiden der ÖVP bei jungen Wählerinnen und Wählern zugrunde haben.

Einen festen Zeitrahmen für einen Abschuss der Verhandlungen gibt sich die ÖVP nicht. Man werde gleich mit den Gesprächen beginnen, da man keine Zeit verlieren wolle, sagte Mattle am Montag. Medienberichten zufolge wäre man gerne bis spätestens zum Nationalfeiertag, also in etwa vier Wochen, mit der Regierungsbildung fertig. Einigt man sich mit der SPÖ, wäre es neben der Steiermark und Kärnten aktuell die dritte Koalition der beiden Parteien auf Landesebene.

SPÖ, Grüne und Neos unter den Erwartungen

Bei der SPÖ herrscht allerdings Katerstimmung: Die eigenen Ziele wurden nicht erreicht, der zweite Platz an die Freiheitlichen verloren. Und mit einem Plus von 0,2 Prozent stagniert die Partei, obwohl Themen wie Teuerung und die Korruptionsermittlungen gegen die ÖVP der Partei in die Hände spielen sollten. Nur die Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung senkt den Frust - auch wenn Landeschef Georg Dornauer betonte, nicht um jeden Preis regieren zu wollen. Der SPÖ-Chef hatte eigentlich angekündigt, bei einem Ergebnis unter 20 Prozent in Opposition zu bleiben.

Internen Gesprächsbedarf gibt es heute auch bei Grünen und NEOS, die ebenfalls unter den eigenen Erwartungen abgeschnitten hatten - weil sie, wie die SPÖ, kaum Personen mobilisieren konnten, die 2018 daheim geblieben waren. Beide, vor allem die NEOS, wären auch zu Koalitionen bereit. Angedacht ist, dass man sich untereinander abspricht. Zunächst wird am Montagabend aber einmal jeweils intern analysiert, was am Sonntag zu dem enttäuschenden Abschneiden geführt hat. Personaländerungen gelten aber da wie dort als unwahrscheinlich.

FPÖ will mitbestimmen

Bei der Liste Fritz, die zu den Gewinnern der Wahl zählt, schreitet man am Montagnachmittag ebenfalls in die Gremien. Auch dort wird man sich der Frage widmen, ob man sich eine Regierungsbeteiligung offen hält. Spitzenkandidatin Andrea Haselwanter-SChneider hatte am Montag verlautbart, dass die Wähler wohl keine "Koalition der Verlierer" sehen wollen würden. "Wer fast 10 Prozent verliert, sollte dies zum Anlass nehmen, die bisherige Politik zu überdenken und endlich im Sinne der Bürger dieses Landes handeln", richtete die Oppositionspolitikerin den Tiroler Schwarzen aus.

Die FPÖ, die es wohl am schwierigsten in die Regierung hätte, macht heute wie üblich an Montagen nach der Wahl "blau". Gegenüber der APA forderte Parteichef Markus Abwerzger die ÖVP aber zu "konkreten, ernsthaften Koalitionsverhandlungen" auf. Die FPÖ sei neben der Liste Fritz der einzige Wahlgewinner. Eine mögliche Koalition der Volkspartei mit der SPÖ wäre hingegen eine "Koalition der Verlierer" und habe "keinen Wählerauftrag" erhalten.