Die Regierung hat die groß angekündigte und nie in Kraft getretene Impfpflicht zu Grabe getragen. Wie glaubwürdig sind die Ankündigungen dieser Regierung?
Werner Kogler: Dass die Pflicht geeignet ist, die Leute zum Impfen zu bewegen, war nicht mehr erkennbar. Zudem ist sie laut Expertengremium derzeit nicht verhältnismäßig. Und sie hat Gräben in der Bevölkerung aufgerissen. Es ist manchmal auch sinnvoll, einen Schritt zurückzugehen.

Vor alledem wurde schon bei der Einführung gewarnt. Dass die Pflicht spaltet, kann doch niemanden überrascht haben.
Von Überraschung rede ich ja nicht. Aber in so außergewöhnlichen Situationen wie einer Pandemie kann nichts zu hundert Prozent sicher sein. Im Nachhinein ist die Bewertung immer leichter.

Mit den Landtagswahlen im Herbst hat das Ende nichts zu tun?
Beratungen mit Experten über die Entwicklung des Virus haben damit zu tun.

Fürchten Sie sich vor einem Vertrauensverlust?
Vertrauen ist eine wichtige Währung und wir sehen schon, dass viel, gerade in der Politik, verloren gegangen ist. Aber wenn Entscheidungen gut begründet sind, wird auch das wieder da sein.

Tun Sie das? Ihr deutscher Parteikollege Habeck wird für klare Ansagen gefeiert, von Ihrer Klimaministerin Gewessler werden diese nur eingefordert.
Kurzfristig tun wir uns leichter als Deutschland, wir haben verhältnismäßig größere Gasspeicher. Aber mittelfristig ist unsere Abhängigkeit von russischem Gas größer. Diese Regierung versucht, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, in den ihn andere gefahren haben. Das wird nicht einfach.

Wann droht auch in Österreich die Gas-Alarmstufe?
Noch funktioniert die Einspeicherung, das soll aber keine Entwarnung sein. Putin setzt Gas als strategische Waffe ein. Ein Lieferstopp hätte Auswirkungen auf uns alle, die viel schlimmer sind, als jene der Pandemie.

Soll ein U-Ausschuss unserer Abhängigkeit von Russland auf den Grund gehen?
Ich werde als Regierungsmitglied keine Zurufe machen. Aber: Wenn es noch einen Grund gibt, Vergangenes so aufzuarbeiten, dann hier.

Auf milliardenschwere Coronahilfen folgen nun ebenso schwere Anti-Teuerungspakete. Wer soll das bezahlen?
Wir werden unsere Schuldenstände im Vergleich zur Wirtschaftsleistung weiter senken. Wir sollten uns ein paar Prozentpunkte Budgetdefizit leisten, um dramatische soziale Verwerfungen zu verhindern. Die Teuerung ist nicht wegzuzaubern, auch, wenn das einige Scharlatane behaupten. Wir müssen das Geld effizient ausgeben – dort, wo es dringend gebraucht wird.

Auch Gutverdiener wie Sie profitieren von erhöhten Klimabonus und einem Netto-Anteil vom Anti-Teuerungsbonus. Ist das effizient?
Der Klimabonus ist eine Umverteilung von oben nach unten, weil die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung pro Kopf zurückverteilt werden. Der deutsche Klimarat lobt das Modell. Neben der Valorisierung der Sozialleistungen stellt auch die spezielle Abschaffung der Kalten Progression eine Umverteilung dar. Das ist schlau gemacht.

Schielen Sie bei der Finanzierung nicht ehrlicherweise auf Erb- und Vermögenssteuern?
Bevor es zu einem Sparpaket kommt, das jene belastet, die wir nun entlasten, kommt vorher eine Millionärssteuer. Millionenerben müssen dann einen Beitrag leisten. Das wird auch langfristig das Ziel sein, die Vermögenskonzentration an der Spitze hat zugenommen. In den nächsten Jahren werden viele Milliarden vererbt – so entsteht leistungsloses Einkommen.

Die ÖVP sieht das anders.
Die Grünen sehen das so und wir haben bisher ja auch schon viel durchgebracht.

Wird man der Bevölkerung nicht irgendwann sagen müssen, dass alle den Gürtel enger schnallen müssen?
Ich tu das seit März, die Gesellschaft wird vorübergehend als Ganzes ärmer werden. Der Staat kann die Inflation nicht abschaffen. Jetzt geht es darum, jenen zu helfen, die schon jetzt an ihre Grenzen kommen. Und dass jene, die mehr tragen könnten, das auch tun sollen – und müssen. Es kann in Krisenzeiten nicht für alle alles gleich bleiben.

Apropos Krise: Die Koalition hat in aktuellen Umfragen keine Mehrheit. Wie wirkt sich das auf das interne Klima aus?
Auch ich sehe manchmal die Stäbchen-Diagramme. Aber wenn es danach ginge, wären wir heute nicht im Parlament, schon gar nicht in der Regierung. Wir haben in Zeiten multipler Krisen die Verantwortung, quasi Tag und Nacht Brände zu löschen und Neues aufzubauen.

Während der Löscharbeiten wird die ÖVP von Korruptionsvorwürfen und Ermittlungen gebeutelt. Was muss man als Juniorpartner alles tolerieren, um weitermachen zu dürfen?
Wir tolerieren ja nichts. Und man muss schon sehen, dass noch nie so viel ermittelt und Dingen auf den Grund gegangen wurde, wie jetzt.

Kann dieser Umstand wirklich ein Kompliment für die Politik in diesem Land sein?
Die meisten Vorwürfe stammen aus einer Zeit vor 2019. Seither gab es, wie ich meine, nicht Vergleichbares. Und was früher nicht in Ordnung war, wird aufgedeckt. Wir stellen sicher, dass unabhängig ermittelt werden kann.

Also holen Sie sich bei Ihrem Freund Habeck noch keine Tipps für eine Ampelkoalition?
Der Fokus liegt nicht auf Taktik. Es wird Wahlen und daraus resultierende Mehrheiten geben. In der Krise muss man Verantwortung übernehmen, nicht spekulieren.

Gewessler wurde gestern zu Ihrer Stellvertreterin gewählt. Das Gerücht, sie sei Ihre Ablöse, hält sich hartnäckig.
Niemand wird abgelöst, ich bin als Bundessprecher für drei Jahre gewählt. Wir sind ein starkes Team und es spricht nur für uns, dass wir viele kompetente Personen haben. Was in ein paar Jahren ist, wird sich zeigen.