Im Nachbarland Slowakei wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Wann werden die ukrainischen Flüchtlinge in großer Zahl an der burgenländischen Grenze ankommen?
HANS PETER DOSKOZIL: Man merkt schon jetzt, dass Menschen kommen, aber die Situation ist eine ganz andere, als bei der Flüchtlingskrise 2015. Ukrainer können sich ohne Visum drei Monate in der Europäischen Union bewegen. Da werden zwar viele kommen, aber jeder hat eine Vorstellung, wo er hin will. Ich rechne nicht damit, dass die Situation an der Grenze so sein wird wie damals.

Sie werden also keine Busse zum Weitertransport organisieren wie damals 2015?
Falls es notwendig sein sollte, Menschen an der Grenze zu versorgen, werden wir das tun. Das ist kein Problem. Aber ein Weitertransport wie damals wird nicht mehr notwendig sein. Ich gehe davon aus, dass auf EU-Ebene die Richtlinie für Massenzustrom aktiviert ist. Dann sind wir nicht mehr im Asyl-Regime, sondern im humanitären Aufenthalts- und Niederlassungsregime. Damit können Betroffene selbst entscheiden, wo sie hinwollen.

Gab es schon Gespräche mit dem Innenminister, wo in den Ländern die Leute untergebracht werden, die bleiben?
Der Innenminister hat mich kontaktiert und sich nach der grundsätzlichen Bereitschaft, Leute aufzunehmen, erkundigt. Das habe ich bejaht. Aber ich warte dabei nicht auf den Zuruf aus dem Innenministerium. Wir werden das selbst organisieren und schnell sein.

Der Bund koordiniert auch private Angebote für Unterkünfte...
Aber das ist ja keine Hexerei. Wenn wir Bedarf an Unterkünften haben, haben wir das im Land in einer Woche erledigt. Innerhalb Österreich etwas zu organisieren, ist das geringste Problem. Da geht es weniger ums Können, sondern ums Wollen. Die Herausforderung ist, den Leuten vor Ort das zu bringen, was sie tagtäglich brauchen.

Wie stellen Sie sich das vor?
Wir sind ein neutraler Staat und sollten diese Rolle viel mehr vorleben. In den Gemeinden, in Pfarren, bei Feuerwehren - überall werden jetzt Hilfsgüter gesammelt. Es ist toll, dass sich die Bevölkerung so engagiert. Aber ich finde es nicht okay, dass sich Menschen in Transporter setzen müssen, um Spenden in die Ukraine zu bringen. Da müsste die Rolle der Bundesregierung eine viel stärkere sein. Man müsste die Bevölkerung strukturiert zu Spenden aufrufen und die Transporte in die Ukraine organisieren, zum Beispiel durch das Bundesheer. Wenn andere Armeen Waffen liefern, soll unser Bundesheer Hilfsgüter liefern.

Österreich schickt ja Hilfsgüter, Schutzwesten, Helme...
Wir schicken einzelne Dinge, aber es geht um die strukturelle Unterstützung. Jetzt müsste humanitäre Hilfe für die Menschen strukturiert organisiert werden. Da fehlt mir das Engagement bei der Regierung. Dafür setzt man sich dafür ein, dass Friedensverhandlungen in Wien abgehalten werden. Dabei geht es nicht darum, wo es Friedensverhandlungen gibt, sondern dass es sie gibt.

Der Vorschlag kam aber zuerst von Ihrer Parteichefin.
Das habe ich gar nicht mitbekommen, ich beziehe mich auf die Aussagen des Bundeskanzlers. Es geht aber gar nicht um die politische Zurechenbarkeit. Aus meiner Sicht ist die wichtigste Frage, welches Bild wir nach außen abgeben.

Österreich beteiligt sich an scharfen Sanktionen, die wohl bald auch im Geldbörserl der Menschen spürbar werden. Wie weit trägt die Bevölkerung das mit?
Die Sanktionen fallen ja nicht vom Himmel. Aber ja, es kann schon sein, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung ändert, wenn die Energiekosten massiv steigen. Da muss man sensibel sein. Und nach Alternativen suchen. Wir haben uns ja nicht zum Spaß das Ziel gesetzt, bis 2030 im Burgenland klimaneutral und autark zu sein. Wir setzen ja bereits massiv auf Photovoltaik und Windenergie. Wir bieten Luft-Wärme-Pumpen ohne Investitionskosten an, die im Abo höchstens 100 Euro im Monat kosten und mit dem hausgemachten Strom betrieben werden. Das muss die Antwort auf die Frage sein.

In Schweden und Finnland ist ein NATO-Beitritt kein Tabu mehr. Soll Österreich das auch diskutieren?
Nein. Wir sind in der Vergangenheit mit der Neutralität immer sehr gut gefahren, und die Schweiz hat uns vorgezeigt, wie man sich taktisch klug in Konfliktsituationen verhalten kann. Als Mitglied eines europäischen Friedensprojektes auch NATO-Mitglied zu werden, ist nicht notwendig. Ich halte es auch für falsch, durch solche Diskussionen jetzt noch Öl ins Feuer zu gießen.

Ursula von der Leyen hat sich für einen EU-Beitritt der Ukraine ausgesprochen. Wie stehen Sie zu einer neuen Osterweiterung?
Ich werte das als eine Diskussion auf psychologischer Ebene. Jetzt müssen einmal die Kriegshandlungen beendet werden. Alles Weitere wird sich ergeben. Es ist immer gefährlich, wenn Politiker etwas versprechen, das sie dann womöglich nicht einhalten können. Da muss man vorsichtig sein.

Am Mittwoch beginnt der Untersuchungsausschuss. Wird er zu Neuwahlen führen?
Ob es Neuwahlen gibt, wird nicht vom Untersuchungsausschuss abhängen, sondern vom taktischen Kalkül der ÖVP, auch bei Wahlen auf Landesebene. Am Beispiel Niederösterreich etwa, ob es für die Landeshauptfrau komfortabler ist, jetzt in Wahlen zu gehen und keine absolute Mehrheit mehr zu schaffen, oder ist es für sie besser, wenn es stabile Verhältnisse im Bund gibt, eine Große Koalition womöglich, und sie dann auch mit 40 Prozent Landeshauptfrau bleibt.

Sie haben schon beim Kanzlerwechsel im Herbst Neuwahlen gefordert. Ist Ihre Forderung aufrecht?
Ja. Es wäre einer Partei wie den Grünen sehr gut zu Gesicht gestanden, wenn sie gesagt hätten, mit einer ÖVP mit derartigem Regierungsverständnis können wir nicht mehr weiterarbeiten. Aber wenn man in den Ämtern angekommen ist, relativiert sich offenbar Vieles.

Die FPÖ schert nicht nur bei Corona aus, sondern zuletzt auch bei den Sanktionen gegen Russland, die sie als Völkerrechtsbruch bezeichnete. Ist eine SPÖ-FPÖ-Koalition für Sie denkbar?
Egal ob Corona oder Sanktionen - bei der FPÖ steckt keine Rationalität dahinter. Es geht nur darum, Wählerstimmen an sich zu binden, egal ob von Rechtsradikalen oder sonst wem. Es hat auch gar nichts damit zu tun, ob Herbert Kickl oder Norbert Hofer innerlich davon überzeugt sind. Das ist der wirkliche Wahnsinn dahinter. Nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz war ich der Einzige im SPÖ-Präsidium, der gegen die Vierer-Koalition gegen die ÖVP war, weil ich finde, man kann mit der FPÖ keine Regierung bilden. Aus dem gleichen Grund wird eine Regierung mit der FPÖ auch in Zukunft unmöglich sein.

Nach einer Wahl käme für Sie also nur eine Große Koalition oder eine Koalition mit Grünen und Neos in Frage...
Ich bin mittlerweile ein Verfechter der Dreier-Koalition. Nach allem, was in letzter Zeit passiert ist - die Skandale, der Verbrauch an Koalitionspartnern in arroganter Art und Weise - würde ich auch eine Koalition mit der ÖVP skeptisch sehen. Da hat sich so eine Machtversessenheit etabliert, dass es den Strukturen der ÖVP gut täte, in die Opposition zu gehen.

Wer sollte dann Bundeskanzler oder -kanzlerin sein? Pamela Rendi-Wagner?
Ich habe mir abgewöhnt, über Personal zu spekulieren. Das Wichtigste für die Sozialdemokratie ist, ein derart gutes Wahlergebnis zu schaffen, dass so eine Dreier-Koalition möglich ist. Dafür muss vieles passen: Der Spitzenkandidat, das Programm, auch das Selbstbewusstsein und Auftreten der Partei. Das zu erreichen, ist eine interne Aufgabe der SPÖ.