Der türkise Kurz ist weg und die alte, schwarze ÖVP ist scheinbar wieder da. Hervorgeholt von den Landeshauptleuten, die sich als Krisenfeuerwehr bewährten. So wird die jüngste politische Entwicklung manchmal kommentiert. Das stimmt aber nicht ganz und es wäre auch nicht zukunftsträchtig. Unsicher ist auch, ob die so rasch bewältigte Krise wirklich überwunden ist. Und wenn es stimmt, dass in der Krise immer auch eine Chance liegt, dann hat in der ÖVP eine Chance die andere gejagt – und das seit Jahren.

In der Vergangenheit hat die ÖVP als konservative Partei auf gesellschaftliche Entwicklungen durchaus kreativ reagiert. Nach dem Krieg hat sie bewusst auf das in der Zwischenkriegszeit diskreditierte Etikett des Christlichsozialen verzichtet, ohne ihre Wurzeln zu leugnen. Das bedeutete auch den Abschied von einem antiquierten politischen Katholizismus. Die Politik brauchte keinen religiösen Flankenschutz mehr und die Kirche kam nicht mehr in Gefahr, mit etwaigen fragwürdigen politischen Entscheidungen identifiziert zu werden. Zudem verstand es die Partei, mit Aktionen wie der Förderung des Wohnungseigentums auch breitere Bevölkerungsschichten anzusprechen.


Auch nach der Phase des Wiederaufbaus blieb die Volkspartei reformfreudig. 1966 schaffte Josef Klaus, der im Wahlkampf eine Politik der Sachlichkeit versprach, eine absolute Mehrheit für seine Partei und damit etwas, was damals schier unmöglich schien: die erste Alleinregierung der Zweiten Republik.

Dann aber stockte es … Da erschien zum Beispiel im Sommer 1983 in der Broschüren-Reihe „Conturen“ ein Heft mit dem Titel „Quo vadis Volkspartei?“ 
1983 hatte die Partei gerade 13 Jahre Opposition hinter sich und eine neue Enttäuschung vor sich: Nach 13 Jahren sozialistischer Alleinherrschaft unter Bruno Kreisky folgten weitere drei Jahre SPÖ-Regierung unter dem Kanzler Fred Sinowatz, der nicht mit der ÖVP eine Koalition suchte, sondern mit der FPÖ – alles von Kreisky wohlvorbereitet.

13 Jahre Opposition, das bedeutete in der damaligen Diktion 13 Jahre „Trockendock“, also die Chance auf Reparaturen und Erneuerungen, aber auch die Gefahr, als Wrack zu verrosten.
Der ÖVP-Tanker unter seinem damaligen Chef Alois Mock verließ das „Trockendock“ aber dann doch recht manövrierfähig, überstand ein paar weitere Jahre in der Opposition und dockte schließlich wieder dort an, wo die Macht war: bei der SPÖ. Der damalige Kanzler, Franz Vranitzky, schaffte es, während der Zeit seiner Kanzlerschaft von 1986 bis 1997 vier ÖVP-Vizekanzler zu verkraften, und zwar so verschiedene Typen wie Alois Mock, Josef Riegler, Erhard Busek und schließlich auch noch Wolfgang Schüssel.

Alois Mock und Wolfgang Schüssel
Alois Mock und Wolfgang Schüssel © (c) APA (JAEGER ROBERT)

In dieser Zeit fiel der Eiserne Vorhang, Österreich trat der EU bei und war als Nachbar auch unmittelbar betroffen von den Folgen der staatlichen Auflösung Jugoslawiens.
Außerdem war Jörg Haider zu einer prägenden Figur der österreichischen Innenpolitik geworden. Haider personifizierte die Postmoderne in der Politik: ein hemmungsloser Vereinfacher, der, sprunghaft und unberechenbar, lustvoll Konflikte suchte und sich in der geistigen Bodenlosigkeit pudelwohl fühlte. Aber der Sinowatz-Nachfolger Vranitzky lehnte es ab, mit ihm die Koalition weiterführen, die er mit Haiders Vorgänger Norbert Steger bereits eingegangen war.


Im Jahr 1990, also in der Vranitzky-Ära, erschien ein „Beitrag zur jüngeren Geschichte und zur nächsten Reform der ÖVP“ mit dem Titel „Himmel-Fahrts-Kommando“. Die Broschüre hatte der Autor Herbert Vytiska allen gewidmet, „denen das Schicksal der ÖVP nicht gleichgültig ist, die sich mit dem Zustand nicht abfinden und die daher etwas verändern wollen“.
Bei den Nationalratswahlen 1990 hatte die ÖVP 17 Mandate verloren, 15 davon an die FPÖ. Mit 80 Mandaten lag die SPÖ damals 20 Mandate vor der Volkspartei.
Ein enttäuschter, nachdenklicher ÖVP-Funktionär hatte 1999 eine „Elegie auf Schwarz“ in Buchform angestimmt: der langjährige Nationalratsabgeordnete, ÖVP-Generalsekretär und ÖAAB-Bundesobmann Herbert Kohlmaier.


Doch ein Jahr später wagte Wolfgang Schüssel eine Koalition mit der FPÖ. Die Haider-Partei erwies sich allerdings als unfähig zur Zusammenarbeit, zerstritt sich intern und vertrieb das eigene Regierungsteam aus dieser Koalition. Es kam zu einer Spaltung, Schüssel regierte dann mit der Neugründung BZÖ weiter und die ÖVP hatte von 2000 bis 2007 endlich wieder den langersehnten Bundeskanzler.
Ein Jahr vor Kohlmaiers „Elegie auf Schwarz“ hatte der SPÖ-Intellektuelle Norbert Leser den Band „Elegie auf Rot“ veröffentlicht. Beide Elegiker machten sich Sorgen um ihre Parteien, die einst als Volksparteien viel für Österreich geleistet hatten, die sich dann, viel kleiner geworden, in der Mitte unwillig zusammenkuschelten. Und beide Parteien übersahen, dass durch das Gedränge in der Mitte der politische Rand für alle möglichen Ansammlungen immer größer geworden war. Sie hatten auch nicht bemerkt, dass sie ihre Identität verloren haben.


Jede Partei braucht, um bestehen zu können, ein Minimum an Weltanschauung oder Ideologie. Die Volkspartei hat christliche Wurzeln und sie hat keine andere Ideologie. In früheren Parteiprogrammen taucht immer wieder der Begriff „christliches Menschenbild“ auf. Der Begriff ist verschwommen, aber doch mit einigen Inhalten versehen. Zum Beispiel mit dem Begriff Menschenwürde.


Was sind denn überhaupt die Strukturelemente einer politischen Partei? Ein Vorschlag wäre: Geschichte, Programm, Personen, Macht und Marketing. In der politischen Praxis zeigt sich da sehr bald, dass Geschichte und Programm eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Und dass das Marketing immer dominanter wird.


Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die ÖVP sowohl 1945 als auch 1966 mit ihrer Programmatik und mit vertrauenswürdigen Personen eine absolute Mehrheit erringen konnte. Erinnert sollte auch daran werden, dass die Programme der ÖVP vom ÖAAB erdacht wurden. Und Basis dieser Programme ist die katholische Soziallehre mit ihren Prinzipien Personalität, Subsidiarität und Solidarität.

Personalität betont die Freiheit und Würde des Menschen; Subsidiarität bedeutet Selbstverantwortung und Selbstverwaltung: so viel Hilfe wie notwendig, so viel Selbstverantwortung wie möglich; Solidarität hat Karl Lugmayer, der Schöpfer des „Wiener Programms“ des ÖAAB aus dem Jahr 1946, so definiert: „Eine sittliche Haltung, eine innere Einstellung des Menschen, die ihn bereit macht, seinen Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft nachzukommen, aber ihn auch berechtigt, sich auf die Hilfe der Gemeinschaft zu stützen …“

Diese Details der Parteigeschichte werden nur deshalb herausgekramt, weil der neue Bundeskanzler in seiner Antrittsrede ein paar Bemerkungen über Freiheit, Verantwortung und Pflichten gemacht hat, die bei einer irritierten ORF-Kommentatorin den Verdacht aufkommen ließen, er philosophiere. Karl Nehammer hat sich aber nur ein wenig mit der Geschichte seiner Partei beschäftigt. Und der ÖAAB-Mann Nehammer ist offensichtlich der Meinung, dass einiges aus dieser Geschichte auch für die Gegenwart brauchbar ist.

Das Himmelfahrtskommando ist also vorläufig weiter im Einsatz. Mit Chancen, die auch Sebastian Kurz und sein Team hatten.
Wie tief ein Himmelfahrtskommando auch fallen kann, wurde mit der türkisen Version dieses Unternehmens nicht voll ausgetestet.
Vielleicht war auch das eine Chance für die ÖVP.