Frau Ministerin, während Sie weg waren, ist einiges passiert: Bei Finanzminister Blümel gab es eine Hausdurchsuchung, Ihr Sektionschef Pilnacek wurde suspendiert, Ihr Amtsvorgänger Brandstetter steht ebenso unter Verdacht wie der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien. Eine Erschütterung, wie man sie seit Jahrzehnten nicht erlebt hat. Ist die Justiz jetzt entfesselt?
ALMA ZADIC: Wie Sie wissen, kann ich kein Ermittlungsverfahren kommentieren und werde mich in laufende Verfahren nicht einmischen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt unabhängig, ohne Ansehen der Person, das hat hoffentlich nichts mit dem jeweiligen Minister zu tun. Ich werde als Ministerin dafür sorgen, dass die Justiz weiter unabhängig arbeiten kann.

A propos laufende Verfahren: Ihr Koalitionspartner hätte gerne, dass aus Ermittlungsakten nicht mehr zitiert werden darf. Was halten Sie davon?
Vor 46 Jahren hat man sich von dem Verbot, aus Gerichtsakten zu zitieren verabschiedet, weil es nicht mehr zeitgemäß war. Dass die Öffentlichkeit gewisse Vorgänge erfahren darf, ist ein Grundpfeiler der Pressefreiheit - aber auch der Beschuldigtenrechte. Beschuldigte, die Akteneinsicht haben, müssen sich auch medial entsprechend zur Wehr setzen dürfen. Wenn wir diese Rechte beschneiden, fallen wir in eine Zeit von vor 1975.

Das kommt also nicht in Frage?
Das wurde schon in den Regierungsverhandlungen diskutiert und hat keinen Eingang ins Regierungsprogramm gefunden.

In Ihrer Abwesenheit hat die ÖVP auch gefordert, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA aufzuspalten, zum Beispiel indem man den Wirtschaftsteil abspaltet. Hat Sie das überrascht?
Ich halte es für richtig und wichtig, dass die Kompetenz zur Verfolgung von Korruption und Wirtschaftskriminalität zusammenbleibt, weil sehr vieles ineinanderfließt. Daher wird es in meiner Amtszeit mit Sicherheit keine Zerschlagung der WKStA geben. Das System, so wie es ist, wird beibehalten.

An der WKStA wird nichts geändert?
Mit mir als Justizministerin wird nichts geändert.

Viele Justizbeamte wie OGH-Präsidentin Elisabeth Lovrek haben der Politik vorgeworfen, mit ihrer Kritik an der Justiz eine rote Linie überschritten zu haben. Sehen Sie das auch so?
Ich kann dem, was die OGH-Präsidentin gesagt hat, einiges abgewinnen. Die Justiz genießt in der Bevölkerung hohes Vertrauen, weil sie unabhängig ermittelt. Unsachliche und pauschale Angriffe haben eher zur Folge, dass die Bevölkerung Vertrauen in die Politik verliert.

Hat die ÖVP mit ihrer Kritik die rote Linie überschritten?
Ich möchte noch einmal festhalten, dass eine ist sachliche Kritik, die ich sehr ernst nehme und das andere unsachliche Kritik, etwa pauschale Angriffe – letztere möchte ich auch zurückweisen.

War die Kritik der ÖVP noch sachlich?
Die ÖVP-Kritik hat viele Punkte umfasst. Einige haben wir aufgegriffen, die pauschalen Angriffe klar zurückgewiesen.

Man hat den Eindruck, dass seit der Hausdurchsuchung beim Finanzminister der Haussegen in der Koalition schiefhängt.
Das würde ich so nicht sehen. Ich weiß, dass auf vielen Ebenen ausgezeichnet gearbeitet wird. Natürlich gibt es da und dort Differenzen, aber trotzdem schaffen wir in vielen Dingen einen guten Weg zu finden, etwa bei der BVT-Reform oder auch bei der großen Reform des Bundessstaatsanwalts.

Keine Gefahr für die Regierung?
Ich sehe keine.

Ihre Klubobfrau Sigrid Maurer hat der ÖVP ein „gestörtes Verhältnis zur Justiz“ attestiert.
Sie hat gesagt, mit ihren Aussagen erwecke die ÖVP den Anschein, sie hätte ein gestörtes Verhältnis zur Justiz. Das ist ein Unterschied. Mir ist wichtig, Reformen auf den Weg zu bringen, um die Unabhängigkeit der Justiz stärken. Ich weiß, dass der Koalitionspartner da auch mitgehen wird.

Wie geht es eigentlich mit Christian Pilnacek weiter?
Jetzt ist die unabhängige Disziplinarbehörde am Zug. Sie wird über Suspendierung oder ihre Aufhebung entscheiden.

Hat er noch Ihr Vertrauen?
Ich habe schon, als ich die Strafrechtssektion aufgeteilt habe gesagt, dass ich Christian Pilnacek für einen ausgezeichneten Strafrechtslegisten halte. Das hat dann auch die Personalkommission bestätigt; ich halte ihn nach wie vor für einen ausgezeichneten Strafrechtslegisten.

Vertrauen Sie generell den Beamten Ihres Ministeriums?
Ich habe größtes Vertrauen in die Arbeit der Justiz und der Beamten im Ministerium. Diese leisten täglich wichtige Arbeit auf Basis der Gesetze.

Wozu braucht es dann einen Bundesstaatsanwalt?
Ich habe schon immer gesagt, dass es jedenfalls eine Entpolitisierung der Weisungsspitze bei den Staatsanwaltschaften braucht. Das hat mit der Einrichtung des Weisungsrats begonnen, diesen Weg sollten wir konsequent weitergehen.

Irgendeine Form demokratischer Verantwortung der Ankläger wird es geben müssen.
Ich halte es für sehr wichtig, dass die aktuelle parlamentarische Kontrolle erhalten bleibt. Ich werde zum Bundesstaatsanwalt in den nächsten Tagen eine Arbeitsgruppe auf den Weg bringen.

Mit welcher Position gehen Sie in diesen Prozess?
Wichtig ist, dass es einen objektiven Bestellmechanismus gibt, dass eine fachlich geeignete, erfahrene Person ernannt wird.

Was würden Sie sich wünschen?
Eine Möglichkeit ist der Vorschlag der Vereinigung der Staatsanwälte, dass ein Gremium aus hochrangigen Richtern und Staatsanwälten die Person vorschlägt und der Bundespräsident entscheidet.

Also keine Bestellung über das Parlament, sondern rein über ein Experten-Gremium?
Es ist wichtig, das Parlament einzubinden, gleichzeitig ist die Entpolitisierung zentral.

Nehmen Sie eigentlich auch immer den Laptop mit, wenn Sie mit dem Kinderwagen spazieren gehen?
Wenn ich mit dem Kind spazieren gehe, sind meine aktuellen Arbeitsunterlagen und jedenfalls mein Handy immer dabei.