Die Corona-Ampel, die Länder und Bezirke heute zum zweiten Mal einfärbt, hat letzte Woche für Kritik gesorgt. Sie haben sich gegen einen „Fleckerlteppich“ an Maßnahmen ausgesprochen. War die Ampel ein Fehler?
Pamela Rendi-Wagner: Die Idee der Ampel ist richtig. Es kann aber nicht sein, dass die Entscheidungsgrundlage für die Farbeinstufung regional unterschiedlich ist. Die muss einheitlich, transparent und gesetzlich verankert sein. Man ist ohne gesetzliche Grundlage und damit mit einer halb fertigen Sache gestartet.

Die SPÖ fordert einerseits schnellere Gesetze und droht andererseits mit Blockaden im Bundesrat, die wochenlange Verzögerungen zur Folge hätten. Was wollen Sie eigentlich?
Es geht nicht um schnell, sondern um ordentlich und rechtzeitig. Die Regierung hatte im Sommer genug Zeit, um das Ampelgesetz vorzulegen. Außerdem stehen bei Rot Maßnahmen zur Freiheitsbeschränkung im Raum. Deshalb braucht es hier einen Begutachtungsprozess, der demokratiepolitischen Regeln zu folgen hat.

Keine Zeit wollen Sie im Hinblick auf die wegen Corona gestiegenen Arbeitslosenzahlen verlieren, Sie fordern hier eine Sondersitzung. Was muss die Regierung aus Ihrer Sicht tun?
Sie muss alles daransetzen, damit es in den Betrieben nicht zu noch mehr Kündigungen kommt. Hier braucht es dringend ein wirksames Investitionspaket, gerechte Verteilung von Arbeit, eine Koppelung staatlicher Unternehmenshilfen an eine Arbeitsplatzgarantie und eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes.

Vizekanzler Kogler hat sich hier für ein degressives Modell ausgesprochen, wonach Arbeitslose also zu Beginn mehr, im Laufe der Zeit aber weniger Geld bekommen. Können Sie dem etwas abgewinnen?
Nein. Denn wir wissen, dass viele, die jetzt arbeitslos geworden sind, geringe Chancen haben, in nächster Zeit einen Job zu finden. Denn die Lage am Arbeitsmarkt wird auch in den nächsten Monaten und Jahren schwierig sein. Diese Menschen müssen finanziell unterstützt werden, deshalb fordern wir 300 Euro zusätzlich pro Monat, die nicht abgeflacht werden. Das türkis-grüne Aussitzen der Krise allein wird zu wenig sein. Zudem braucht es mehr Unterstützung für Umschulungen in Zukunftsberufe.

Hier schweben Ihnen vor allem Pflegeberufe vor. Aber der Grund, warum wir von Pflegekräften aus dem Ausland abhängig sind, ist ja der, dass diese Berufe hierzulande niemand ausüben will. Wie soll das funktionieren?
Genau deshalb muss man jenen, die sich für eine Umschulung in Richtung Pflege interessieren, den roten Teppich ausrollen. Einerseits mithilfe von Angeboten, andererseits auch finanziell – mit mindestens 500 Euro pro Monat zusätzlich zum Arbeitslosengeld, und das für die Dauer der Ausbildung. Und die soll kostenlos sein. Wenn der Beruf attraktiver wird, werden sich mehr dafür interessieren.

Die vorhersehbare Nachfrage: Wer soll das alles bezahlen?
Das Teuerste wäre es, nichts zu tun. Denn dann steigt die Arbeitslosigkeit, die bekanntlich menschlich wie ökonomisch für den Staat am teuersten ist. Und jene, denen es besser geht, sollen dazu einen Beitrag leisten. Hier denke ich vor allem an die Gewinner dieser Krise. Das sind die großen Online-Konzerne wie Amazon und Co., die in Europa so gut wie keine Steuern zahlen.

Soll das kleine Österreich bei Amazon-Chef Jeff Bezos anläuten und um Corona-Hilfsgelder bitten?
Ja. Auf EU-Ebene wird das über die Digitalsteuer passieren, deren Einführung aber, da gebe ich Ihnen recht, wohl noch länger dauern wird. Aber auch auf nationaler Ebene sollte man aktiv werden – mit einer Online-Solidarabgabe von zehn Prozent des Jahresumsatzes. Kanzler Kurz und Vizekanzler Kogler können das umsetzen – ähnlich wie das mit der Digitalwerbeabgabe der Fall war. Aber offenbar fehlt der Wille dazu.

Realistischer dürfte eine Finanzierung durch die „Reichen“ werden, die Sie ja ebenfalls fordern.
Ja, denn wann, wenn nicht jetzt, sollte man dieses Projekt angehen? Vermögen und Erbschaften über einer Million sollen besteuert werden, damit die wenigen, die es trifft, einen Betrag für den Wiederaufbau des Landes leisten.

Rendi-Wagner und Wien-Spitzenkandidat Ludwig beim Wahlkampfauftakt der SPÖ
Rendi-Wagner und Wien-Spitzenkandidat Ludwig beim Wahlkampfauftakt der SPÖ © APA/ROBERT JAEGER



Während die Wiener ÖVP ihren Wahlkampfauftakt groß mit Sebastian Kurz feiert, tut die Wiener SPÖ alles, um nicht mit Ihnen in Verbindung gebracht zu werden. Schmerzt Sie das?
Diese Beobachtung teile ich gar nicht. Erst am Dienstag haben wir gemeinsam Wahlkampfauftakt gefeiert.

Auf dem Sie aber nicht zu Wort kommen durften. Obwohl Sie Wienerin sind.
Weil bei uns Spitzenkandidat Ludwig im Zentrum steht. Wenn das bei anderen Parteien nicht der Fall ist, dann kann das nur daran liegen, dass ihre Kandidaten weder den Bekanntheits- noch den Beliebtheitsgrad von Bürgermeister Ludwig haben.

Ludwig hat sich für ein Wahlrecht nur für Staatsbürger ausgesprochen, eine Änderung für Wien, wo fast ein Drittel nicht wahlberechtigt ist, will er nicht. Sehen Sie das auch so?
Ich teile seine Meinung und möchte festhalten, dass derzeit hohe finanzielle Hürden viele vom Erlangen einer Staatsbürgerschaft abhalten. Diese sollten verkleinert werden.

Sie haben bereits im März die Aufnahme minderjähriger Flüchtlinge aus dem griechischen Lager Moria gefordert. Jetzt ist es abgebrannt, Türkis-Grün will aber weiterhin keine Menschen von dort aufnehmen. Was nun?
Wer Kinder verkommen lassen will, vergeht sich an den Werten Österreichs und Europas. Moria ist eine Schande und offenbart die Feigheit und Kleingeistigkeit einiger europäischer Regierungen. Denn sie lassen dort lieber Kinder in Elend zurück, anstatt für rasche Hilfe und für nachhaltige Lösungen zu sorgen. Das ist eine humanitäre Bankrotterklärung.