Vor zwei Wochen heulten Polizeisirenen durch die Straßen des Wiener Bezirks Favoriten. Türkische Nationalisten hatten Demonstrationen kurdischer und linker Aktivisten angegriffen. Es kam zu Ausschreitungen, mehrere Menschen wurden verletzt.

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) verkündete nun, dass vier „Rädelsführer“ der Aktion ausgeforscht werden konnten. Es handle sich dabei um Türken und Österreicher mit türkischem Migrationshintergrund. Von dreißig Anzeigen gegen unbekannt habe man zudem ein Drittel der Verdächtigen ausforschen können. Angesprochen auf den möglichen Einfluss des türkischen Geheimdienstes auf die Störaktion, den Nehammer Mitte der Woche in den Raum gestellt hatte, gab sich dieser nun bedeckt. Die Ermittlungen seien hier noch im Gange.

"Es gilt als cool, Polizisten anzugreifen"

Der Innenminister schoss sich bei der Pressekonferenz jedoch auch auf den Bezirk ein. Es gelte in Favoriten „als cool, Polizisten anzugreifen“. Hier gebe es „fast schon einen Wettbewerb“. Um dem entgegenzutreten, müsse man „hinter die Kulissen“ schauen und mit türkischen und kurdischen Vereinen zusammenarbeiten. Dass diese das Gespräch jedoch verweigern, ist für Nehammer „nicht zu akzeptieren“.

Dem pflichtete auch Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) bei. Sie sprach von „Revierkämpfen“ im Bezirk, den sie als „Brennpunkt“ bezeichnete. Hier brauche es ein Frühwarnsystem, den angesprochenen Vereinen müsse man zudem klarmachen, „dass sie eine Verantwortung tragen“.

Bezirkschef: "Nicht alle über einen Kamm scheren"

Dass sein Bezirk nun so im Rampenlicht steht, nimmt Marcus Franz wohl mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis. Die jüngsten Ausschreitungen seien laut dem SPÖ-Bezirksvorsteher von Favoriten „natürlich nicht akzeptabel“. Hintermänner und gewaltbereite Demonstranten müsse man zur Rechenschaft ziehen. Doch die Darstellung der beiden ÖVP-Minister will er so nicht stehen lassen. „Es darf nicht sein, dass Favoritens Migranten über einen Kamm geschert und Türken pauschal verurteilt werden.“ Es liege zudem in der Verantwortung des Innenministers, dafür Sorge zu tragen, dass sich die Bilder von vor zwei Wochen und die „bewusste Eskalation“ bei Demonstrationen nicht wiederholen. „Die Bewohner Favoritens haben ein Recht auf Ruhe und Ordnung in ihrem Bezirk.“

Unter ebendiesen Bewohnern des bevölkerungsreichsten Bezirks in Wien ist der Anteil der im Ausland Geborenen hoch, laut Statistik Austria lag er 2019 bei 42,6 Prozent. Vor allem türkischstämmige Einwanderer sind zahlreich vertreten, auch viele Serben und Rumänen leben hier. Dass sich männliche Jugendliche hier Straßenschlachten mit der Polizei liefern, wie vom Innenminister beschrieben, will Bezirksvorsteher Franz nicht direkt kommentieren. Nur so viel: „Pubertät ist eine schwierige Phase und manche Jugendliche versuchen, ihren Platz zu finden“, erklärt er gegenüber der Kleinen Zeitung. „Aber Gewalt ist nicht zu tolerieren.“

Unruhe vor neuer Demo

Unruhe herrschte in den letzten Tagen im Bezirk angesichts der nächsten Demonstration linker Gruppen, die gestern Abend stattgefunden hat. Im Fokus standen dabei just jene Themen – Demokratie, Freiheit und Frauenrechte – von denen sich die türkisch-nationalen Angreifer von vor zwei Wochen provoziert gefühlt hatten. Diesmal wurde nichts dem Zufall überlassen, die Route führte nicht, wie zuvor, durch Favoriten, sondern durch den Nachbarbezirk Wieden. Das Polizeiaufgebot war immens, ein Hubschrauber kreiste unaufhörlich über dem Zug. Die Demonstration verlief diesmal jedoch friedlich.