"An die Arbeit": So lautet das Motto, unter das SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner den Erneuerungsprozess der Partei stellen will. In den nächsten acht Wochen seien alle „Organisationseinheiten und Teil-Organisationen“ aufgerufen, mit ihren Mitgliedern das Ergebnis der Nationalratswahl zu analysieren und danach Verbesserungsvorschläge zu formulieren, erklärte sie im Anschluss an die Sitzung. Die SPÖ will - voraussichtlich im April 2020 - einen Themenrat unter dem Titel "Zukunftskongress" abhalten, bei dem die Ergebnisse des Reformprozesses der kommenden Monate präsentiert werden sollen. 

Des weiteren solle es, so Rendi-Wagner, „Zukunftslabore“ geben, in denen die Partei über die wichtigen politischen Themen nachdenkt. Außerdem müsse sich die SPÖ für NGOs, Intellektuelle und Künstler öffnen.

Und Rendi-Wagner versprach, dass es eine Mitgliederbefragung zu den Ergebnissen des „An die Arbeit“-Prozesses geben wird.

Bei der rund siebenstündigen Klausur sei es vor allem um inhaltliche und strukturelle Fragen gegangen, nicht um Personalia, versicherte sie: "Wir hatten keinerlei Personaldiskussion heute."

Für Wiens Bürgermeister Michael Ludwig wurden bei der Präsidiumsklausur "die ersten wichtigen Schritte gesetzt". Diese sollen in der nächsten Woche dem Bundesparteivorstand vorgelegt werden. Damit starte ein Reformprozess, an dessen Ende ein "Zukunftskongress" stehen soll. Personaldebatte sei keine geführt worden, so Ludwig vor Journalisten. Der Vorsitzenden sei das "Vertrauen geschenkt" worden.

Auch der Salzburger SPÖ-Chef Walter Steidl gab sich beim Verlassen des Renner-Instituts mit dem Ergebnis "sehr zufrieden". Die Beratungen seien "gut verlaufen".

Das Gros der SPÖ-Granden hatte die Präsidiumsklausur jedoch unbemerkt von den wartenden Pressevertretern verlassen. Bereits zu Mittag hatte sich Kärntens Landeschef Peter Kaiser aus terminlichen Gründen auf den Weg gemacht. Kaiser musste zu einer Bootstaufe nach Duino an der nördlichen Adria.

Ursachen-Forschung

Dafür, dass viele in der SPÖ beteuern, dass es natürlich überhaupt nicht darum gehe, jetzt Schuldige für die jüngste historische Wahlniederlage auszumachen, verbringen verdächtig viele Ex-Spitzenfunktionäre ihre Zeit damit, die Schuld von sich zu weisen.

Als zum Beispiel Parteichefin Pamela Rendi-Wagner diese Woche im „Report“ erklärte, sie habe die Partei „am Boden“ übernommen, als die Umfragen schlecht gewesen seien, teilte ihr Vorgänger, Ex-Bundeskanzler Christian Kern, auf Twitter eine nüchterne - und korrekte - Analyse: „Bevor Kern Bundeskanzler wurde, lag die SPÖ bei 21 Prozent. Vor seinem Rücktritt lag sie bei 28, nach seinem endgültigen Rückzug bei 26 Prozent. Auf diesem Level blieb sie bis Ibiza. Nach Ibiza pendelten sich die Umfragen der SPÖ bei 22 Prozent ein, das Wahlergebnis lag dann bei 21,2 Prozent.“

"Radikale Analyse"

Oder Thomas Drozda. Nachdem anonyme Parteigrößen ihm via „Kurier“ ausrichten ließen, Porschefahrer seien künftig in der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße unerwünscht, griff auch der schöngeistige, gerade zurückgetretene Bundesgeschäftsführer zu seinem iPad, um einen Tweet abzusetzen: „Ich finde gut, dass die (Ex)Kollegen jetzt die eingeforderte 'radikale' Analyse vornehmen, wenngleich ich die Idee, private Oldtimer-Fahrten wären das Hauptproblem, nicht teile“, so Drozda.

Aber was ist eigentlich das „Hauptproblem“? Am Freitag wollte die Sozialdemokratie den Startschuss zu einer „Erneuerung“ der Partei geben - mit einer Präsidiumssitzung am Karl-Renner-Institut am Wiener Hauptbahnhof. Im Rahmen der Erneuerung sollte „tabulos“ über alles diskutiert werden können - außer über Rendi-Wagner, wie Tirols Landesparteichef Georg Dornauer im Vorfeld versicherte.

Ideen gibt es viele: „Ich denke mir, dass SPÖ-Politiker ihre Kinder auf öffentliche Schulen schicken sollten, in den Restaurants essen sollten, in denen ihre Wähler essen, und wissen sollten, was ein Brot im Supermarkt kostet“, fordert etwa SJ-Chefin Julia Herr in den „Salzburger Nachrichten“. Sie wünscht sich vor allem „stärkere Einbindung der Mitglieder bei wichtigen Entscheidungen“ und weniger „teure Berater“.

Berater hat auch der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler im Visier: Er stehe „loyal zur Pam“, sagte Babler im „Standard“, „aber wenn ihr in einem Interview nicht einmal die Kernforderungen einfallen, muss sie schlecht beraten sein“. Babler spielt damit auf das bereits erwähnte Interview Rendi-Wagners im „Report“ an.

Als die Parteichefin dort die Frage, wofür die SPÖ eigentlich stehe, nicht beantworten konnte - „darüber werden wir diskutieren müssen“ -, dürfte das bei vielen Parteimitgliedern zu ähnlichem Unmut geführt haben wie die Erklärung des neuen Geschäftsführers Christian Deutsch: „Die Positionen der SPÖ kann man nicht binnen vier Monaten vermitteln.“

"Klare Spielregeln"

„Klare Spielregeln“ und mehr Professionalität in Bezug auf die Kommunikation „unten wie oben“ wünschte sich von der Sitzung Josef „Beppo“ Muchitsch, Vorsitzender der Baugewerkschaft und langjähriges Partei-Schlachtross.

„Der Start der Erneuerung ist schon einmal misslungen“, findet dazu Politikwissenschaftler Peter Filzmaier. Die Parteispitze habe es geschafft, die FPÖ - die bei der Nationalratswahl noch viel drastischere Verluste zu verzeichnen hatte - durch unkoordinierte Auftritte fast vollständig aus den negativen Schlagzeilen zu verdrängen. „Das ist Erneuerung nach dem Prinzip: Gestern standen wir vor dem Abgrund, heute sind wir schon einen Schritt weiter.“

"Themenkompetenz"

Eine Erneuerung der SPÖ müsse drei Ebenen umfassen, findet Filzmaier: eine inhaltliche - wenn die SPÖ bei ihrem Fokus auf Bildung, Gesundheit und Wohnen bleiben wolle, müsse sie sich unter anderem fragen: „Sind wir bis in die vierte, fünfte Reihe unserer Funktionäre themenkompetent?“

Zweitens müsse die Partei strukturelle Fragen angehen, um sich zu öffnen. Was bisher beschlossen wurde - etwa eine Gastmitgliedschaft -, sei bei Weitem noch nicht die „radikale“ Öffnung, die angekündigt worden war.

Und drittens die Kommunikation: „Eine bessere Ausgangsposition als bei dieser Wahl wäre für eine Oppositionspartei kaum denkbar gewesen“, sagt Filzmaier: Neuwahlen, ein als unmoralisch entlarvter Ex-Vizekanzler, ein Misstrauensantrag gegen die Regierung - dass die SPÖ hieraus nicht profitieren konnte, mache die Perspektive einer glaubhaften Erneuerung schwer.