Nach all den Verhandlungen, Irrungen und Wirrungen lässt sich nun am Drehbuch nicht mehr rütteln: Gestern erteilte das EU-Parlament in Brüssel dem Austrittsvertrag seine Zustimmung, morgen, in der Nacht auf Samstag, tritt er in Kraft und Großbritannien wird vom EU-Mitglied zum Drittland. Die Debatte im Parlament war emotional, es flossen Tränen und nach der Abstimmung (621 dafür, 49 dagegen) hielten sich die Abgeordneten an den Händen und sangen „Auld Lang Syne“ (Nehmt Abschied, Brüder). Auf Bannern zu lesen: „Auf Wiedersehen, nicht goodbye“.

Wer nun glaubt, das wäre das Ende einer unendlich scheinenden Geschichte, irrt – in vielerlei Hinsicht ist das erst der Anfang. Denn erst jetzt kann sich das Vereinigte Königreich daran machen, mit dem Rest der Welt, besonders aber natürlich mit der Europäischen Union, neue Verträge auszuhandeln und die künftigen Beziehungen abzustecken. Der 1. Februar bedeutet auch für die EU eine Zäsur, selbst wenn die wirtschaftlichen Folgen aller Voraussicht nach verkraftbar sein werden. So ändert sich im EU-Parlament das Kräfteverhältnis, rechte Parteien überholen die Grünen, neue Fraktionen könnten sich bilden. Insgesamt gibt es weniger Abgeordnete als bisher.

Frage & Antwort: Wie es nun weitergeht

1 Was passiert in der Nacht auf 1. Februar?
Alles in allem: nichts. Der Vertrag, der bereits durchs britische Unterhaus ging und gestern auch vom EU-Parlament ratifiziert wurde, enthält eine Übergangszeit bis Ende dieses Jahres. Bis dahin ist Großbritannien zwar kein EU-Mitglied mehr, es läuft aber zunächst alles so weiter wie bisher – auch die Zahlungen an die EU. Die Bürger sollten beiderseits nichts bemerken.

2 Wozu soll diese Übergangszeit gut sein?
Erst mit dem Tag des Austritts können die Verhandlungen über die konkreten Verträge beginnen, eher war das aus juristischen Gründen nicht möglich (im Hintergrund liefen natürlich Vorbereitungen). In diesen elf Monaten müssen sich also die Briten und die EU jede Detailfrage neu aushandeln – von der Fischerei über Personenverkehr, Flugrechte, Polizei- und Justizarbeit und so weiter.

3 Kann das in dieser kurzen Zeit klappen?
Eigentlich nicht; der Vergleich hinkt wahrscheinlich, aber allein der umstrittene Mercosur-Vertrag wird schon 20 Jahre verhandelt. In der EU gibt man sich aber betont optimistisch, die Kernaussage lautet: Wir schaffen das.

4 Könnte man notfalls noch eingreifen?
Der britische Premier Boris Johnson will auf Biegen und Brechen am Termin festhalten. Er hätte laut Vertrag aber bis Juni die Möglichkeit, die EU um eine Verlängerung der Übergangszeit um weitere zwei Jahre zu bitten – Brüssel würde dem sofort zustimmen.

5 Und wenn es trotzdem schiefgeht?
Man möchte es nicht wahrhaben, aber wenn die Verhandlungen bis Jahresende scheitern, wäre erst wieder der „harte Brexit“, der Ausstieg ohne gültigen Vertrag, die Folge. EU-Chefverhandler Michel Barnier setzt jetzt auf eine Prioritätenliste – die wichtigsten Sachen kommen zuerst. Beim harten Brexit würde alles auf null gesetzt – um das zu verhindern, sucht man nach Möglichkeiten, dann zumindest in Teilbereichen weiterzuverhandeln.

6 Was geschieht mit all den Briten in den EU-Institutionen?
Eigentlich sollten sie ihre Arbeitsplätze räumen, aber immerhin sind die meisten im Beamtenstatus und niemand will sie einfach hinauswerfen (zumal die meisten gegen den Brexit waren). Sehr viele haben inzwischen die belgische Nationalität angenommen oder die ihres Partners aus einem anderen EU-Land, allerdings muss man davon ausgehen, dass ihnen von nun an große Karrieresprünge verwehrt bleiben.

7 Und die britischen EU-Abgeordneten?
Ihre Tage in Brüssel und Straßburg sind gezählt. Ansprüche, etwa was Pensionen betrifft, bleiben bestehen, dazu soll auch Großbritannien weiter seinen Beitrag leisten. Kolportiert wird, dass auch Nigel Farage, Chef der Brexit-Party, auf seine EU-Ansprüche nicht verzichten will (eine spätere Pension von rund 84.000 Euro jährlich). Er ist übrigens auch mit einer Deutschen verheiratet, zwei seiner Kinder haben einen deutschen Pass.

8 Was ändert sich im EU-Parlament?
Hier werden die Karten neu gemischt. Die Zahl der Abgeordneten verringert sich von 751 auf 705, Länder, die aufgrund demografischer Entwicklung unterrepräsentiert sind, erhalten mehr Plätze. Österreich hat statt bisher 18 dann 19 Abgeordnete, der Steirer Thomas Waitz (Grüne) zieht wieder ein. Durch den Wegfall der Briten ändern sich auch die Kräfteverhältnisse. 73 Abgeordnete fallen weg, 27 dieser Sitze werden neu aufgeteilt. Die EPP bekommt 5 dazu und wächst auf 187 Sitze, S&D verliert 6 und hat nur noch 148, Renew verliert am meisten (11 Sitze) und rutscht auf 97, die rechte ID gewinnt 3 dazu und überholt mit 76 Sitzen die Grünen, diese verlieren 7 Abgeordnete und haben dann 67, die ebenfalls rechts angesiedelte ECR verliert 3 Sitze (62), die Linken (GUE) verlieren einen Sitz (40), den allergrößten Verlust erleiden die Fraktionslosen – der Exit der Brexit-Party lässt sie um 26 Mandate auf nur noch 27 fallen.

9 Was folgt in den kommenden Jahren?
Wenn alles gut geht und der Brexit mit Vertrag klappt, wird Großbritannien ein Drittland mit engen Verbindungen zur EU, idealerweise laufen Programme wie Horizon (Forschung) oder das Galileo-Satellitensystem gemeinsam weiter – aber immer so, dass die Briten mitzahlen müssen ohne Mitspracherecht und nicht mehr Geld herausbekommen können, als sie einbezahlt haben. Derzeit gehen beim Handel ca. 9 Prozent aus der EU nach UK, aber mehr als 50 Prozent umgekehrt.