Wenn man einmal im Jahr vor dem einzigen multinationalen Parlament der Welt eine Rede hält, die sich an 450 Millionen Menschen wendet und die Zukunft von 27 Ländern betrifft, dann listet man eher nicht die Fehlschläge auf, sondern übt sich in Zuversicht und großen Zukunftsprojekten. Diese Regel befolgte Ursula von der Leyen auch bei ihrer jüngsten "Rede zur Lage der Union". Die Botschaft, aufgeteilt über zahlreiche Punkte, lautete im Grunde: Es gibt viel zu tun, aber wir werden das schon schaffen.

Das EU-Parlament zeigte sich freundlich, die Kommissionspräsidentin erntete zwischendurch Applaus und selbst die Debatte im Anschluss blieb handzahm. Es war ein Auftritt, wie man ihn sich erwarten durfte – große Themen abstecken, Mut machen, ohne gar zu konkret zu werden. Zu den bemerkenswerten Ansätzen gehören diese beiden: Als es um den Green Deal ging, kam sie auf den globalen Wettbewerb zu sprechen und da auf Chinas unfaire Handelspraktiken, etwa im Bereich der Solarindustrie. Unlauteren Protektionismus gebe es auch bei chinesischen E-Autos; staatliche Subventionen würden die Preise drücken und den heimischen Markt verzerren, das soll nun durch eine eigene Untersuchung belegt und damit auch unterbunden werden. Was die Präsidentin nicht sagte: denkt man das zu Ende und stoppt die chinesischen Finten, bedeutet es einen Preisanstieg, die E-Autos würden also teurer werden.

Der zweite Punkt richtete sich an Österreich, auch wenn der Name gar nicht fiel. Bulgarien und Rumänien seien Teil des Schengensystems, hieß es da, und dann: "Lassen wir sie also endlich herein, ohne weiteren Verzug!" Das war eine überaus deutliche Ansage, die aus den vielen, oft diffusen Absichtserklärungen herausstach.

Einen wesentlichen Punkt sparte von der Leyen weitgehend aus, was besonders den Parteien links der Mitte sauer aufstieß: Es sei eine Rede gewesen, die sich an der Wirtschaft und am Fortkommen Europas orientiert habe, dafür kamen die sozialen Folgen, mit denen Millionen Menschen derzeit zu kämpfen haben, kaum vor. Auch das Thema Rechtsstaatlichkeit, in der Vergangenheit oft ein zentrales Element und angesichts anhaltender Probleme mit Ungarn und Polen weiterhin brisant, blieb unerwähnt.

Europa hat im Bann der Multikrisen erstaunlich viel zuwege gebracht. Gelegentlich darauf hingewiesen zu werden und etwas Zukunftsoptimismus zu streuen, ist kein Schaden. Die Frage bleibt freilich immer, wie viel von all den Plänen auch umgesetzt wird; die Prognosen über den Ausgang der bevorstehenden EU-Wahl lassen zumindest einen Schluss zu: Leichter wird es nicht mehr.