Wenn Erfolge ausbleiben, spitzen sich interne Kämpfe zu: Im russischen Machtapparat wird das immer deutlicher. Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldnertruppe Wagner, hat in den letzten Wochen nicht nur die Führung der russischen Armee und den Verteidigungsminister wiederholt massiv kritisiert. Für Aufsehen sorgten zuletzt Aussagen, in denen er einen nicht namentlich definierten "einfältigen Opa" scharf angriff, dem er Schimpfwörter und völlige Inkompetenz an den Kopf warf: Dieser denke, es sei alles in bester Ordnung, fahre zugleich aber Russland mit seiner Realitätsverweigerung an die Wand. Auf die Frage, wen er gemeint habe, erklärte Prigoschin später, jeder könne sich "aussuchen, wer gemeint war". Doch selbst in Putin-treuen Kreisen herrscht kaum Zweifel daran, dass der einstige "Koch" und Caterer des Kremlchefs diesen erstmals offen und scharf kritisiert hat.

Fern bleiben von Fenstern!

Eine bisherige Einmaligkeit in der russischen Elite. Gingen Prigoschin angesichts von Rückschlägen an der Front in Bachmut die Emotionen durch oder erfolgt die Beschimpfung des Staatspräsidenten gezielt? Schon raten viele Prigoschin, offenen Fenstern fernzubleiben – eine Anspielung darauf, dass es in den vergangenen Monaten mehrfach zu rätselhaften Todesfällen kam, bei denen prominente Manager durch unerklärliche Fensterstürze ums Leben kamen.

Dennoch legte Prigoschin zuletzt sogar noch nach: In seinem jüngsten Video warf er dem Kreml vor, sich nicht an Absprachen zu halten. Die vom russischen Militär in Aussicht gestellten Waffen habe er bislang nicht erhalten. "Sie haben uns dreist getäuscht", sagte Prigoschin. Er wolle dennoch vorerst in Bachmut bleiben. Russische Einheiten seien wegen "krimineller" Befehle hochrangiger Kommandanten aus ihren Stellungen geflohen, behauptete Prigoschin. "Soldaten sollten nicht aufgrund der absoluten Dummheit ihrer Führung sterben", erklärte er weiter.

Es ist offensichtlich: Prigoschin spielt mit dem Feuer. Russische Politologen gehen dennoch davon aus, dass der Wagner-Chef, trotz der Emotionalität seiner Ausbrüche, eine Strategie verfolgt. "Prigoschin mag zwar ein Draufgänger sein, aber er ist kein Selbstmörder", schreibt etwa Walerij Solowjew in der "Moscow Times". Prigoschin rechne offenbar mit einem baldigen Machtwechsel in Moskau und bringe sich in Position.

Kampf um Putin-Nachfolge

Ob Prigoschin mit dieser Einschätzung richtig liegt, bleibt aber offen – wie auch die Frage, ob er die Nachfolgekämpfe mit anderen Fraktionen aus dem Militär und den Geheimdiensten tatsächlich für sich entscheiden könnte. Über Hausmacht in den Staatsstrukturen, über seine Söldner hinaus, verfügt Prigoschin kaum.

"Landesverräter"?

Das regierungskritische russische Exil-Portal "Meduza" weiß unterdessen zu berichten, dass im Kreml die Geduld mit Prigoschin allmählich dem Ende zugehe: "Er verfolgt sein eigenes Projekt – den Kampf um Bachmut, und er tut alles dafür. Aber das ist ein persönliches Anliegen, um Einfluss auf das Verteidigungsministerium zu gewinnen, damit die Wagner-Truppe die wichtigste siegreiche Kraft wird", zitiert "Meduza" Informanten aus dem Kreml. Die staatsnahen Propagandisten seien bereits informiert worden, Prigoschin müsse demnächst als "Landesverräter" gebrandmarkt werden, wenn er weiter auf Konfrontationskurs zum Kreml gehe.

Der Machtkampf geht weiter – Ausgang ungewiss.