Russland hat am Montag die Einrichtung von Fluchtkorridoren für Zivilisten in mehreren ukrainischen Städten angekündigt. Für Kiew sind sie allerdings "unannehmbar". "Das ist keine annehmbare Variante der Öffnung von humanitären Korridoren", erklärte die ukrainische Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk am Montag. Die vorgeschlagenen Wege führen nach Russland oder ins verbündete Belarus.

Die Ukrainer würden nicht aus den nördlich von Kiew gelegenen Orten nach Belarus fahren, um dann per Flugzeug nach Russland gebracht zu werden. Wereschtschuk sagte, sie habe Russland vorgeschlagen, Fluchtkorridore innerhalb der Ukraine in den Westen zu öffnen. Sie forderte Russland auf, einer Feuerpause zuzustimmen, damit Ukrainer in die im Westen gelegene Stadt Lemberg flüchten könnten. "Wir verlangen von der Russischen Föderation die Eröffnung von Möglichkeiten für humanitäre Korridore, über die (...) Medikamente und Lebensmittel gebracht werden können", sagte sie.

"Das Leid der Menschen wird benutzt, um die gewünschten TV-Bilder zu schaffen", hieß es zudem in einer schriftlichen Stellungnahme des Sprechers von Präsident Wolodymyr Selenskyj. "Es sind Bürger der Ukraine, sie sollten das Recht haben, in ukrainisches Territorium evakuiert zu werden."

Das russische Verteidigungsministerium hatte eine Feuerpause ab 8.00 Uhr angekündigt. Neben der Hauptstadt Kiew seien derartige Passagen auch für Charkiw, Mariupol und Sumy geplant. Russland komme damit einem persönlichen Ersuchen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron nach. Wir fordern von der ukrainischen Seite, alle Bedingungen für die Schaffung humanitärer Korridore (...) strikt zu erfüllen", teilte das russische Militär weiter mit.

Russland will nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau sechs Korridore in der Ukraine einrichten, um Zivilisten die Flucht aus umkämpften Gebieten zu ermöglichen. So sollten etwa Menschen aus Kiew nach Gomel in Belarus gefahren werden, um von dort nach Russland geflogen zu werden. Von Mariupol am Asowschen Meer sollten Zivilisten in die südrussische Stadt Rostow gebracht werden. Einwohner aus Sumy sollten demnach in der zentralukrainischen Stadt Poltawa vorübergehend eine Unterkunft finden. Der Fluchtweg für die Kiewer Bevölkerung soll nach Belarus führen.

Separatisten-Offensive in Mariupol

In Mariupol haben pro-russische Separatisten nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau eine Offensive unternommen. Der Angriff sei im Westen der Stadt erfolgt. Nach Angaben des ukrainischen Außenministeriums sind nahe der Kiewer Vorstadt Irpin bei einem Versuch zur Einrichtung eines "grünen Korridors" acht Zivilisten getötet worden. Der Bürgermeister von Butscha, Anatolij Fedortschuk, sei verletzt worden.

Der Gemeindevorsteher von Hostomel wurde nach Angaben der örtlichen Behörden getötet. Russische Truppen hätten Jurij Prylypko gezielt erschossen, teilte der Gemeinderat am Montag bei Facebook mit. "Er starb bei der Ausgabe von Brot an Hungrige und Arzneien an Kranke." Mit ihm seien zwei weitere Helfer getötet worden. Von russischer Seite gab es dazu keine Reaktion. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden. Das nordwestlich von Kiew gelegene Hostomel mit dem nahen Flugplatz ist seit Beginn des Kriegs umkämpft.

Für diesen Montag ist nach Angaben des ukrainischen Unterhändlers David Arachamia eine dritte Gesprächsrunde mit Russland über eine Waffenruhe geplant. Allerdings gehe man von keiner Einigung aus, solange russische Truppen versuchten, weiter vorzustoßen, erklärte der Berater des Chefs des ukrainischen Präsidentenstabes, Olexii Arestowitsch. Er riet seinen Landsleuten von einer Flucht nach Russland ab.

Am Wochenende war zweimal die Schaffung eines humanitären Korridors aus dem umzingelten Mariupol gescheitert. Russland und die Ukraine gaben sich dafür gegenseitig die Schuld. In der Ukraine und im Westen wird befürchtet, dass die Angriffe mit Raketen und Granaten auf die Städte zunehmen werden.

Kein Einlenken Putins

Der russische Präsident Wladimir Putin ließ am Wochenende keine Anzeichen für ein Einlenken erkennen. "Es ist zu hoffen, dass die Vertreter der Ukraine bei der geplanten nächsten Runde von Verhandlungen einen konstruktiveren Ansatz zeigen, (und) die neu entstehende Realität voll berücksichtigen", erklärte er nach Angaben des Präsidialamtes.

Russland bezeichnet sein Vorgehen als "Spezialoperation". Ziel sei nicht die Besetzung der Ukraine, sondern die Zerstörung der militärischen Kapazitäten der Ukraine sowie die Festnahme als gefährlich eingestufter Nationalisten. Auch die Regierung in Kiew zeigte sich bisher nicht bereit, den russischen Forderungen nachzugeben.