Zugleich forderte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die Menschen bei den zentralen Feierlichkeiten in Berlin am Samstag auf, sich nicht entmutigen zu lassen.

"Keine Mauer, die Menschen ausgrenzt und Freiheit begrenzt, ist so hoch oder so breit, dass sie nicht doch durchbrochen werden kann", sagte Merkel in der Kapelle der Versöhnung auf dem früheren Todesstreifen an der Bernauer Straße.

Merkel erinnerte an die Versöhnungskirche, die früher an der Stelle gestanden war. 1985 wurde sie auf Veranlassung der DDR-Regierung gesprengt. "Das war nichts anderes als ein Akt der Menschenverachtung", so die deutsche Bundeskanzlerin. Zugleich würdigte sie die Menschen, die sich dem SED-Staat entgegenstellten. "Ich erinnere an die, die an der Mauer getötet wurden, weil sie die Freiheit suchten", sagte Merkel und verwies auch auf rund 75.000 Menschen, die in der DDR inhaftiert waren, weil sie die Freiheit suchten. "Ich erinnere an die, die unterdrückt wurden und ihre Träume begraben mussten", so die deutsche Regierungschefin.

Der 9. November sei ein Schicksalstag der deutschen Geschichte, sagte sie und erinnerte an die Pogromnacht der Nationalsozialisten von 1938. Darauf gefolgt seien Menschheitsverbrechen und der Holocaust.

Merkel mahnte, für die Errungenschaften eines vereinten Europas einzutreten. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde müssten immer wieder neu verteidigt werden. Dies sei in Zeiten tiefgreifender technologischer und globaler Veränderungen aktueller denn je, aber auch schwierig. "Der Beitrag des Einzelnen mag klein erscheinen, doch davon dürfen wir uns nicht entmutigen lassen", sagte sie.

Zum Auftakt der offiziellen Mauerfall-Feierlichkeiten in Berlin hat der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Staatschefs der Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei empfangen. Er hatte sie in die deutsche Hauptstadt eingeladen, um die wichtige Rolle ihrer Länder beim Niederreißen des Eisernen Vorhangs in Europa und beim Fall der Berliner Mauer zu würdigen.

Der deutsche Bundespräsident begrüßte Zuzana Caputova (Slowakei), Milos Zeman (Tschechien), Andrzej Duda (Polen) und Janos Ader (Ungarn) am Samstagvormittag in seinem Amtssitz Schloss Bellevue. Anschließend wollte er mit ihnen zur zentralen Veranstaltung an der Mauer-Gedenkstätte in der Bernauer Straße weiterfahren und dann das unweit gelegene Visegrad-Denkmal besuchen, das an den Beitrag dieser Staaten zum Mauerfall vor 30 Jahren erinnert.

Steinmeier dankte den Bürgern der vier Staaten für ihren maßgeblichen Beitrag zur Wiedervereinigung. "Ohne den Mut und den Freiheitswillen der Polen und Ungarn, der Tschechen und Slowaken wären die friedlichen Revolutionen in Osteuropa und die deutsche Einheit nicht möglich gewesen", sagte er. Er sprach in einem zweiten Teil der Feier am benachbarten Denkmal für die vier Visegrad-Staaten, das an deren Beitrag zum Fall der Mauer erinnert und das er mit den vier Präsidenten besuchte.

Bei dem Gedenken wurden auch Rosen in die Hinterlandmauer für die Mauer-Opfer gesteckt und Kerzen zur Erinnerung an den Mut der DDR-Opposition im Herbst 1989 entzündet. Die Bernauer Straße gilt als Symbol der deutschen Teilung. Als die Mauer 1961 hochgezogen wurde, lag die Häuserfront der Straße im Osten, der Gehsteig im Westen.

Auch Österreich würdigte Mauerfall

Auch in Österreich ist der 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer gewürdigt worden. Bundespräsident Alexander Van der Bellen erklärte auf Facebook, am 9. November 1989 sei "vielleicht zum ersten Mal" die Idee eines vereinten Europas "tatsächlich greifbar nahe" gewesen. "Damals, am 9. November 1989, haben der Mut, die Freiheit und die Demokratie einen Sieg errungen."

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein bezeichnete den Fall der Berliner Mauer als "Zäsur in der Geschichte unseres Kontinents und unerlässlich für die Einheit Europas": "Bei allen noch immer bestehenden Herausforderungen und Unterschieden leben wir heute in eng verbundener europäischer Nachbarschaft, geprägt von Frieden und Freiheit. Das ist keine Selbstverständlichkeit und muss von allen Generationen bewahrt und verteidigt werden", unterstrich Bierlein.

Außenminister Alexander Schallenberg erklärte, die Wende 1989 sei "Ausgangspunkt für nachhaltigen Frieden in Europa" gewesen. "Dafür waren Entscheidungen notwendig, die Mut und Weitblick erfordert haben. Diesen Mut und Weitblick muss Europa auch bei der Heranführung des Westbalkans an die EU zeigen." Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten hatten sich auf ihrem Gipfel Mitte Oktober nicht auf den Start von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien einigen können, nachdem Frankreich, Dänemark und die Niederlande Vorbehalte geäußert hatten.

Daniel Barenboim dirigiert

Am Abend will Steinmeier eine Ansprache vor dem Brandenburger Tor halten, wo ab 18 Uhr eine Bühnenshow anlässlich des 30. Mauerfall-Jubiläums stattfindet. Eröffnet wird die Veranstaltung von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller. Neben der Staatskapelle Berlin unter der Leitung von Daniel Barenboim treten zahlreiche Musiker und Bands auf.

Insgesamt gibt es mehr als 200 kostenlose Konzerte, Lesungen, Theater- und Filmaufführungen sowie Diskussionsrunden, die sich auch kritisch mit den Folgen der Wiedervereinigung vor allem in den ostdeutschen Ländern auseinandersetzen.

Im Fokus stehen dabei die Schauplätze in Berlin, an denen die friedliche Revolution stattgefunden hat. Dort werden die historischen Ereignisse jeweils in Freiluftausstellungen aufgegriffen. An sechs der sieben Orte werden nach Einbruch der Dunkelheit außerdem großformatige Lichtinstallationen auf Fassaden projiziert.

Ein Band aus Wünschen

Die auffälligste Kunstaktion der Jubiläumswoche kann an der Straße des 17. Juni bestaunt werden. Der US-amerikanische Künstler Patrick Shearn hat 30.000 Botschaften und Wünsche zu einem bunt schillernden Farbband über der Straße bis zum Brandenburger Tor verknüft, das scheibar schwerelos im Wind schwebt.

Installation "Visions of Motion" von Patrick Shearn in Berlin
Installation "Visions of Motion" von Patrick Shearn in Berlin © APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ

Bei der zentrale Gedenkveranstaltung zum 30. Jahrestag des Mauerfalls am Samstag steht auch eine Ansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel am Programm.