Es dauerte gut zehn Minuten, dann rasselte es zum ersten Mal. „Herr Kollege Scholz, Sie sollten jetzt die deutsche Öffentlichkeit nicht täuschen“, giftete Union-Frontmann Armin Laschet in Richtung des SPD-Kanzlerkandidaten. „Bleiben Sie bei den Fakten“, konterte Olaf Scholz, ehe die Grünen-Bewerberin Annalena Baerbock in Richtung Laschet kämpferisch dazwischen grätschte: „Beten Sie hier keine vorbereiteten Sprechzettel ab.“

Es ging um Drohnen für die deutsche Bundeswehr gleich zum Auftakt in der ersten TV-Debatte der drei Bewerber fürs Kanzleramt und ob die nur der Aufklärung dienen (SPD) oder auch bewaffnet (Union) werden sollten.

Baerbock punktet mit Klima

Der Abend bot gleich eine dreifache Premiere. Erstmals sind mit Laschet (CDU/CSU), Scholz (SPD) und Baerbock (Grüne) drei offizielle Bewerber ums Kanzleramt zum TV-Duell geladen. Erstmals moderierte neben Peter Kloeppel auch Pinar Atalay zur besten Sendezeit auf RTL. Die Journalistin war von der öffentlich-rechtlichen ARD zum Privatsender gewechselt, ein ungewöhnlicher Schritt. RTL-Eigner Bertelsmann, der zuvor sein Printgeschäft der Tochter Gruner+Jahr entkernt und mit TV-Formaten wie „Big Brother" über Jahre zur Infantilisierung der medialen Welt beigetragen hatte, versucht so ein wenig Seriosität zurückzugewinnen. Doch scheint noch Luft nach oben. Die Runde startete - naheliegend - mit dem Thema Außenpolitik in die Debatte. Baerbock versuchte am Beispiel Afghanistan die Handlungsunfähigkeit der großen Koalition aus Union und SPD zu belegen. Deren Vertreter Laschet und Scholz machten sich gegenseitig Vorwürfe. Am Ende eines wichtigen Debattenpunkts landete die Diskussion dann bei Drohnen für die Bundeswehr. Auch sonst ging es im Verlauf des Abends sehr viel über Feinheiten aus dem politischen Maschinenraum als über große Kursentscheidungen auf dem politischen Oberdeck. So viel Liebe zum Spiegelstrich ist mutig für einen Sonntagabend, an dem sich parallel das Standardprogramm „Tatort“ von der Sommerpause zurückmeldet.

Neben Außenpolitik ging es vor allem um Corona und Innere Sicherheit

Steuer- und Klimapolitik. Dort konnte Annalena Baerbock relativ leicht punkten. „Offensichtlich haben Sie keinen Plan“, wies sie Laschets Einwand gegen die Umsetzung eines Klimagelds als sozialen Ausgleich für steigende Energiepreise zurück. Doch packte sie - wie gerne mal - zu viel Information in ihre Beiträge. Das wirkte ein bisschen nach Polit-Streberin. Scholz wählte geschickt eine andere Strategie. Fahrten in der Deutschen Bahn nur für Geimpfte, Genesene und Getestete wollten die Moderatoren wissen. „Ich gehe davon, und darüber bin ich mit der Kanzlerin im Gespräch, dass das klappen soll.“ So umständlich lautet Scholz‘ Formel für ein potenzielles Ja zum 3G im Fernverkehr. Der Mann lässt sich nur schwer fassen.

Laschet hat den schwierigsten Part

„Nein, Sie haben sich jetzt verheddert“, wies Scholz seinen Mitbewerber Laschet in der Debatte um Innere Sicherheit ungewohnt direkt auf ein Verfahren zur Vorratsdatenspeicherung vor dem Europäischen Gerichtshof hin. Ansonsten konnte Scholz den Abend relativ gelassen gestalten. Das am Wochenende von mehreren Themen mit neuen Vorwürfen aufgebrachte unangenehme Thema rund um den CumEx-Steuerskandal um Dividendenschwindel blieb ausgespart.

Laschet hatte den schwierigsten Part des Abends. Er musste zurückkommen ins politische Spiel. „Kein Zickzack-Kurs“, verwahrte er sich gegen Kritik an seiner Corona-Strategie und wetterte gegen Rot-Rot-Grün. „Mit dieser Partei kann man nicht koalieren“, ätzte er über die Linke.

Natürlich warteten seine Kritiker auf einen groben Schnitzer. Der blieb zwar aus. So recht überzeugen konnte der Kandidat der Union aber nicht.

Eine konkrete Zahl für die steuerliche Entlastung von Alleinerziehenden blieb er auch heftiges Nachfragen von Baerbock schuldig. So blieb Laschet blass. Immerhin, er gab sich kämpferisch.

Scholz: „Ich will Kanzler werden"

Diese Debatten leben vom Warten auf den einen entscheidenden Moment. Das muss nicht immer ein Patzer sein. Vor vier Jahren degradierte Angela Merkel ihren Kontrahenten Martin Schulz im TV-Duell mit den Worten: „Sie kennen mich." Der Hinweis auf ihre weltpolitische Erfahrung wirkte wie eine öffentliche Degradierung des Herausforderers aus Würselen. In den USA punktete der greise Ronald Reagan 1984 gegen seinen jungen Gegner Walter Mondale mit dem Satz: „Ich werde die Frage des Alters nicht zum Wahlkampfthema machen." John F. Kennedy wiederum glänzte 1960 gegen Richard Nixon auf dem Bildschirm durch seine bloße Jugend. Der Sieg war ihm nicht mehr zu nehmen.

Kennedys Auftritt war das erste Wahlduell der TV-Historie. Damals war Fernsehen das neue Medium. Das ist Geschichte. Das zeigte sich auch am Sonntagabend. Gleich nach Beginn der Dreier-Runde lieferten sich die Click-Claquere der Kandidaten auf Twitter ein heftiges Gefecht. Die Zeiten sind vorbei, in denen allein die Performanz auf dem Bildschirm entscheidet. Die Deutungshoheit der politischen Debatte wird längst im Netz entschieden. Die sozialen Medien setzen den Ton. Und so bot der Abend im Netz auch einen kleinen Abgesang auf die klassische Ära des linearen Fernsehens. Das dritte Novum des Abends.

Das erste Triell hat eines gezeigt. Das Rennen ist offen. Auch Armin Laschet kann Angriff. Auch Annalena Baerbock kann punkten. Vor allem aber: Olaf Scholz bleibt weiter souverän. „Ich will Kanzler werden“, unterstrich er selbstbewusst seine Ambitionen. Vier Wochen sind es noch bis zur Wahl. Die Vorzeichen haben sich gedreht. Die Union ist in der Defensive. Eine seit langem ungekannte Stimmung im Land.