Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält an seinem Stellvertreter Hubert Aiwanger (Freie Wähler) fest. Eine Entlassung wäre aus seiner Sicht nicht verhältnismäßig, sagte Söder am Sonntag bei einer Pressekonferenz in München. Vor seiner Entscheidung habe er ein langes Gespräch mit Aiwanger geführt. Aiwanger bezeichnete die Vorwürfe im Zuge der Flugblatt-Affäre als gescheiterte politische Kampagne gegen ihn.

"Die Antworten waren nicht alle befriedigend", sagte Söder in der Pressekonferenz dazu, vieles sei Aiwanger immer noch "nicht erinnerlich" gewesen. "In der Gesamtabwägung wäre eine Entlassung aus dem Amt aus meiner Sicht nicht verhältnismäßig", fasst der Ministerpräsident zusammen.

Söder weiter: "Ich weiß, meine Entscheidung wird nicht allen gefallen, es bleiben Restzweifel. Ich empfinde es als Augenmaß statt Übermaß oder Vorverurteilung." Die Sache sei für ihn beendet, die 25 Fragen und Antworten werden jedoch veröffentlicht.

"Sauberes Gewissen"

"Das war ein schmutziges Machwerk", sagte hingegen Aiwanger am Sonntag bei einem Wahlkampfauftritt in einem Bierzelt in Grasbrunn (Landkreis München). "Die Freien Wähler sollten geschwächt werden." Doch die Partei sei durch die Vorwürfe "gestärkt worden", sagte Aiwanger. "Wir haben ein sauberes Gewissen." Seine Gegner seien mit ihrer "Schmutzkampagne gescheitert". Von dieser "Kampagne" würden sich später noch einige Beteiligte distanzieren müssen, sagte Aiwanger.

Aiwanger hatte zuletzt einen umfangreichen Fragenkatalog Söders zu den Vorwürfen schriftlich beantworten müssen. Danach traf Söder nun – wie angekündigt – seine Entscheidung. CSU und Freie Wähler haben bisher stets erklärt, ihre Koalition nach der Wahl fortsetzen zu wollen.

Worum geht es?

Gegen den Freie-Wähler-Chef waren seit einer Woche immer neue Vorwürfe laut geworden. Am Samstag vor einer Woche hatte er zunächst schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten ein antisemitisches Flugblatt geschrieben zu haben, über das die "Süddeutsche Zeitung" berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien "ein oder wenige Exemplare" in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf erklärte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben.

Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger erstmals öffentlich. In Bezug auf die Vorwürfe blieb er bei bisherigen Darstellungen – insbesondere, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Auf X (ehemals Twitter) wies er zudem den Vorwurf, er habe Hitlers "Mein Kampf" in der Schultasche gehabt, als "Unsinn" zurück. Zu weiteren Vorwürfen äußerte er sich entweder nicht oder sagte, er könne diese aus seiner Erinnerung weder dementieren noch bestätigen.

Gleichzeitig ging der Freie-Wähler-Chef zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei – was ihm sofort neue Vorwürfe, etwa vom Zentralrat der Juden, einbrachte.

Dass Söder aktuell trotz alledem an Aiwanger festhält, dürfte mit der unmittelbar bevorstehenden Landtagswahl am 8. Oktober zusammenhängen. Auch wenn CSU und Freie Wähler ihre Koalition fortsetzen wollen, hatte Söder zuletzt gesagt, Koalitionen hingen "nicht an einer einzigen Person": "Es geht mit oder ohne eine Person im Staatsamt ganz genauso." Die Freien Wähler stehen jedoch fest zu ihrem Vorsitzenden. Bei Wahlkampfauftritten wird Aiwanger ungeachtet der Affäre teils kräftig gefeiert.

Kultusgemeinde: Aiwanger muss Vorwürfe entkräften

In der Flugblatt-Affäre hat die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger zu klaren Schritten der Aufarbeitung aufgefordert. "Er muss Vertrauen wiederherstellen und deutlich machen, dass seine Aktionen demokratisch und rechtlich gefestigt sind", sagte Knobloch am Sonntag laut einer Mitteilung der Kultusgemeinde.

"Inwieweit es Hubert Aiwanger nun gelingen wird, die Vorwürfe, die noch im Raum stehen, mit Worten und Taten zu entkräften, wird sich dabei zeigen", sagte die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland. Zugleich sicherte sie dem Politiker zu: "Die Türen der jüdischen Gemeinschaft waren für ihn immer offen."

Kritik von Habeck

Der deutsche Vizekanzler Robert Habeck hat die Entscheidung des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), an seinem Stellvertreter Robert Aiwanger (Freie Wähler) festzuhalten, scharf kritisiert. "Sich als Jugendlicher möglicherweise zu verlaufen, ist das eine, sich als verantwortlicher Politiker zum Opfer zu machen und der Inszenierung wegen an den demokratischen Grundfesten zu rütteln, ist das andere", sagte der Grünen-Politiker am Sonntag in Berlin.