In Ihrem Roman "Dogs of Europe" schildern Sie ein Europa, in dem Russland im Jahr 2049 bereits viele Staaten "absorbiert" hat: die Ukraine, Weißrussland, die baltischen Staaten. Die weißrussische Sprache ist verschwunden. Steckt hinter der fiktionalen Dystopie auch eine reale Befürchtung?

ALHIERD BACHAREVIC: Weißrussland existiert schon jetzt nicht mehr, Russland hat es okkupiert. Auch Teile der Nachbarländer wurden annektiert. Mein Thema ist die menschliche Besessenheit, wie der Staat mithilfe der Sprache seine Werte propagiert, seine Gesellschaft beeinflusst und aus den Menschen in Osteuropa Sklaven macht. Es ist aber auch ein Roman über die Liebe.

Sie sagten in Ihrem Roman auch den jetzigen Krieg voraus.

BACHAREVIC: Ich bin kein Prophet, aber ich hatte nie Illusionen. Für mich war immer klar, dass Russland ein großes, sehr aggressives Imperium ist. Schon als Putin an die Macht kam, war klar, dass er seine aggressiven Pläne auch realisieren wird. Er hat einen Größenwahn und träumt davon, eine wichtige Rolle in der Geschichte Russlands, ja, in der Weltgeschichte zu spielen. Er will seinen Namen verewigen. Aber das wollte der Westen lange nicht sehen, nicht wahrhaben. Wir Osteuropäer hätten schon lange Wichtiges zu sagen gehabt, aber unsere Worte waren es nicht wert, gehört zu werden.

Der Krieg in der Ukraine hat die Situation in Weißrussland überlagert. Vor Kurzem begannen Schauprozesse in Minsk gegen die prominentesten Regimekritiker – Friedensnobelpreisträger Ales Bjaljazki und, in Abwesenheit, Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Ihre Mitstreiterin Maria Kolesnikowa ist nach ihrem Aufenthalt auf der Intensivstation wieder in Lager- und Isolationshaft. Wie würden Sie die derzeitige Lage der Menschen in Weißrussland beschreiben?

JULIA CIMAFIEJEVA: Es herrscht ein Klima der Angst, und das wird durch die prominenten Prozesse verstärkt. Manche Weißrussen beschreiben die Lage im Land wie in einem großen Konzentrationslager. Weißrussland war schon lange ein autoritärer Staat, jetzt ist es ein totalitärer Staat. Jede und jeder kann jeden Moment festgenommen und eingesperrt werden. Es gibt mehr als 1500 politische Häftlinge, aber das ist nur die offizielle Zahl. Die politischen Gefangenen in den Arbeitslagern sind auch gekennzeichnet, sie müssen gelbe Aufnäher tragen. Doch es sind nicht nur bekannte Regimekritiker, die es trifft, sondern ganz normale Bürger: ein Arbeiter, eine fünffache Mutter. Ein einziges kritisches Wort, ein einziges Posting, reicht. Alle haben Angst, dass in der Früh jemand an ihrer Tür läutet und sie abführt.

Ihr Buch "Dogs of Europa" ist auch verboten in Weißrussland.

BACHAREVIC: Ja, alles, was frei ist, wird in diesem Land als extremistisch eingestuft. Mein Buch steht auf dieser Liste und ist deshalb verboten. Das heißt, alle meine Bücher werden aus den Buchhandlungen, aus den Bibliotheken entfernt, verbannt. Das kommt einem Berufsverbot gleich.
Putin versucht, Weißrussland immer tiefer in den Krieg in der Ukraine hineinzuziehen.

CIMAFIEJEVA: Lukaschenko ist für seinen Machterhalt vollkommen von Putin abhängig. Zugleich weiß er, dass die Weißrussen diesen Krieg nicht wollen. Ich denke aber nicht, dass es innerhalb oder außerhalb der Armee einen Aufstand dagegen geben wird. Dafür ist die Angst zu groß. Zugleich wird Lukaschenko versuchen, was er immer schon tat – sich irgendwie rauszuwinden.