„Wegen eines Unwetters wird unser Flugzeug nach Chongqing umgeleitet!“ Diese Durchsage an Bord von Flug CA1359 nach Zhangjiajie hätte schon vor der Corona-Pandemie für Unmut unter den Passagieren gesorgt, jetzt aber zeigt sich Panik in vielen Gesichtern. Chongqing statt Zhangjiajie? Was bedeutet das für den Corona-Code? Bei vielen Fluggästen läuft das jüngste Covid-Testresultat aus Peking in wenigen Stunden ab, darf man dann in Chongqing das Flugzeug verlassen? Springt mein Code demnächst von Grün auf Gelb oder gar Rot? Muss ich in Quarantäne?

Viel Planung im Vorfeld nötig

Reisen im Null-Covid-Land China erfordert eine außergewöhnliche Planung. Jede Provinz, jede Stadt hat andere Pandemie-Vorschriften, verschiedene Apps, unterschiedliche Test-Einrichtungen. Dazu kommen noch Extrawünsche der Hotels, die entweder keine Ausländer akzeptieren oder schriftliche Impfbestätigungen verlangen. Alles muss vor Reisebeginn abgeklärt werden, wenn man nicht vorzeitig im Nirgendwo stranden will.

Am Flughafen Chongqing beginnt der elektronische Corona-Slalom mit dem Herunterladen einer neuen komplizierten App, die aber mit der aus Peking nicht kompatibel ist. Bisherige Covid-Testresultate und Impfungen scheinen nicht mehr auf, also ab zum Covid-Test am Flughafenausgang und hoffen, dass das Ergebnis bis zum Abflug nach Zhangjiajie am nächsten Morgen eintrifft.

© Dollinger

Gleiches Land, verschiedene Corona-Apps

Ähnliches dann am Flughafen Zhangjiajie, das wiederum in der Provinz Hunan liegt. Die Apps aus Peking und Chongqing zählen hier nicht, also eine weitere App herunterladen, allerdings nicht auf der üblichen Plattform des Tech-Riesen Tencent, sondern auf jener von Alibaba. Sesam öffnet sich tatsächlich, aber man muss dennoch zu einem neuerlichen Covid-Test ins Stadtkrankenhaus. Schlange stehen, warten, Code scannen, Rachenabstrich – dieses Ritual wiederholt sich alle zwei Tage, solange die Testergebnisse eben gültig sind. Ohne gültiges negatives Testergebnis kein Hotel, kein Restaurant, kein Taxi, kein Bus, nichts. Willkommen im Corona-Paradies China.

Zhangjiajie verdankt seine Bekanntheit einem Sandsteingebirge, das als Filmkulisse für den Science-Fiction-Film Avatar diente. Die Sandsteinpfeiler, die hunderte Meter in den Himmel ragen, zogen schon Millionen chinesische Touristen an, bevor das Filmteam aus Hollywood in Zentralchina eintrudelte. Der Film hat natürlich die Besucherzahlen am Originalschauplatz vervielfacht. Die Corona-Pandemie bereitete auch dem Avatar-Boom ein jähes Ende, im Vorjahr verursachten mehrere Infektionsfälle sogar einen völligen Lockdown der Stadt für mehrere Wochen. Urlauber saßen in ihren Quartieren fest. Doch jetzt geht es langsam wieder aufwärts mit dem Tourismus, Reisen innerhalb Chinas sind mit Einschränkungen wieder möglich. Der Großteil der 1,5 Millionen Bewohner Zhangjiajies lebt von den Einnahmen aus dem Tourismus, die Gastfreundschaft der Bevölkerung gleicht jetzt einem kollektiven Aufatmen.

© Dollinger

Corona gilt als importiertes Übel aus dem Westen

„Wie kommst du hierher?“, fragt mich ein Chinese erstaunt am berühmten Himmelstor, einem riesigen Loch im Berg. Chinas Grenzen sind ja pandemiebedingt noch immer geschlossen. Meine Erklärung, dass ich in Peking lebe und das Land seit Beginn der Pandemie nicht verlassen habe, nimmt er mit Erleichterung auf und steigt die 999 Stufen hinab Richtung Tal. In China gilt die Corona-Pandemie als importiertes Übel aus dem westlichen Ausland.

Südwestlich von Zhangjiajie liegt Fenghuang, eine alte Festungsstadt der Miao-Minderheit, bekannt auch wegen der Südchinesischen Mauer aus der Zeit der Ming-Dynastie. Die pittoreske Altstadt am Flussufer verwandelt sich am Abend in eine Partymeile, die Menschenmassen drängen durch enge Gassen von Lokal zu Lokal, Gesichtsmasken sieht man nur mehr selten. Es wird gefeiert, man hat viel nachzuholen. Aber auch hier kommt man ohne grünen Corona-Code und ohne negativem Testergebnis nicht weit. Kein Hotel, kein Taxi, kein Restaurant.

© Dollinger

Das Überwachungssystem Chinas

Auch die Rückkehr nach Peking muss gut geplant sein. Das letzte Test-Ergebnis aus Peking ist längst abgelaufen, aber ein schriftliches negatives Testergebnis aus Zhangjiajie sollte reichen. Es reicht lediglich zum Verlassen des Flughafens, der Taxifahrer davor aber weigert sich. Erst nach mühsamen Interventionen erklärt sich ein anderer Taxifahrer bereit, einen Ausländer mit einem obskuren Testzertifikat aus der Provinz nach Hause ins Zentrum von Peking zu bringen. Geschafft! Leider nicht ganz, denn das Zittern geht weiter.

Sollte sich nachträglich ein Infektionsfall aus Zhangjiajie herausstellen, dann werden alle Personen ausgeforscht, die sich zur selben Zeit am selben Ort aufgehalten haben. Mit dem elektronischen Überwachungssystem Chinas ein leichtes Spiel. Meine Corona-Apps aus Peking, Chongqing und Hunan haben mir zwar die Türen im Urlaub geöffnet, aber sie könnten mich auch ins Quarantänelager bringen. Täglich muss man damit rechnen, dass die sogenannten Weißen Garden an der Wohnungstür klopfen.

© Dollinger