Eine harmonische Zeitenwende sieht eigentlich anders aus. Ein überstürzter Regierungsabtritt vor Beginn von Bulgariens neuer Euro-Ära am 1. Jänner, Proteste gegen Korruption und Freunderlwirtschaft: Ausgerechnet der am wenigsten wohlhabende EU-Staat gleitet morgen, mit ungewohnt viel Getöse, als 21. Mitglied in die auf Stabilität bedachte Euro-Zone. Als ärmster Anwärter war Bulgarien vor 19 Jahren der EU beigetreten, nun führt der von Turbulenzen erschütterte Balkanstaat den Euro ein. Hievt Brüssel mit Bulgarien ein rückständiges und schwachbrüstiges Problemkind in die Eurozone?

Kein Problemkind mehr

Eher nein. Ausgerechnet Bulgarien erweist sich nämlich als ein Beispiel dafür, wie sehr die EU-Integration Entwicklung voranbringen kann. Finanzpolitisch gibt es derzeit keinerlei Anlass zur Sorge, im Gegenteil. Die Maastricht-Kriterien, die zur Euro-Einführung qualifizieren, erfüllt das Neu-Mitglied weitgehend. Nicht nur mit einer seit Jahren eisernen Haushaltsdisziplin, sondern auch mit einer beneidenswert niedrigen Staatsverschuldung: Mit rund 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt die Staatsschuld nicht nur klar unter dem EU-Mittel von 81 Prozent, sondern auch weit unter jener vieler Gründungsmitglieder der Eurozone, darunter Griechenland (152 Prozent), Italien (137 Prozent) oder Frankreich (114 Prozent).

Sicher ist, dass Bulgarien enorm aufholte: Am Vorabend des EU-Beitritts 2007 lag Bulgariens Sozialprodukt pro Kopf bei 28 Prozent des EU-Mittels. Zwei Jahrzehnte später beträgt dieses zwar noch immer nur ein gutes Viertel von Spitzenreiter Luxemburg (245 Prozent), dennoch hat Europas vermeintlich hoffnungsloses Schlusslicht den Rückstand zu den meisten EU-Staaten kräftig verkleinert.

Beschäftigung und Löhne steigen

Arbeitskräfte sind knapp geworden, Beschäftigungsgrad und Löhne steigen. Beim Wohlstandsbarometer des „AIC-Index“ des privaten Konsums der EU-Haushalte hat Bulgarien mit fast Dreiviertel des EU-Mittels bereits Lettland und das kriselnde Ungarn hinter sich gelassen. Groß bleibt allerdings das Wohlstandsgefälle zwischen Bulgariens Rückstandsregionen und den boomenden Großstädten. Und selbst dort ist in Roma-Vierteln in Sofia oder Plowdiw Bulgariens der Aufschwung nur bedingt zu spüren.

Trotz aller Missstände kehren mehr Bulgaren in ihre Heimat zurück als auswandern. Zwar können weder EU noch Euro alle internen Probleme der Mitgliedstaaten lösen. Doch auf das Ventil der Abwanderung der Unzufriedenen können Bulgariens geschäftstüchtige Strippenzieher kaum noch vertrauen: Selbstbewusste Bürger, die sich nicht mehr zum Auswandern gezwungen fühlen, können Fehlentwicklungen heute leichter korrigieren.

Probleme bleiben Bulgarien genug. Der positive Migrationssaldo ist jedoch ein Indikator dafür, dass die EU-Integration auch bei der allmählichen Angleichung der Lebensverhältnisse funktioniert: Wann Bulgarien seinen Titel als Europas rote Laterne abgeben kann, scheint nur eine Frage der Zeit.