Eagip Zarakolu ist für den türkischen Staat schon seit einem halben Jahrhundert ein rotes Tuch. Nach dem Militärputsch von 1971 kam der heute 74-Jährige zum ersten Mal vor Gericht – wegen Kontakten zu Amnesty International. Später war Zarakolu Mitbegründer des türkischen Menschenrechtsvereins und veröffentlichte als Verleger Bücher über den Völkermord an den Armeniern und die Kurdenfrage. Heute steht er auf einer Liste von 40 angeblichen "Terroristen", von deren Auslieferung die Türkei ihre Zustimmung zum Nato-Beitritt von Finnland und Schweden abhängig macht. Der Fall Zarakolu zeigt, warum die Türkei den Westen mit ihren Forderungen bisher nicht überzeugen kann.

Finnische und schwedische Unterhändler sprachen am Mittwoch erstmals mit türkischen Regierungsvertretern in Ankara über den Nato-Streit. Ibrahim Kalin, türkischer Präsidialamtssprecher und Berater von Staatschef Recep Tayyip Erdogan, sprach anschließend von einer positiven Haltung der beiden nordeuropäischen Länder zur türkischen Forderung, das seit 2019 bestehende Waffenembargo aufzuheben. Doch damit gibt sich die Türkei nicht zufrieden. Sie verlangt von Helsinki und Stockholm konkrete Beweise für eine Distanzierung von der kurdischen Terrororganisation PKK und die Auslieferung von türkischen Regierungsgegnern, die in ihren Ländern Zuflucht gefunden haben.

Auslieferungsliste lediglich Verhandlungsmasse?

Die 28 Menschen in Schweden und zwölf in Finnland auf der türkischen Liste sind nach Darstellung Ankaras gefährliche Staatsfeinde, die der PKK, linksextremen Gruppen oder der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen zuzurechnen sind. Außenminister Mevlüt Cavusoglu sagte dem Nachrichtensender Habertürk, die Türkei wolle keine Ausflüchte wie Hinweise auf EU-Regeln hören. Die Forderungen der Türkei müssten erfüllt werden – auch wenn Finnland und Schweden ihre Gesetze ändern müssten, um die Auslieferungen zu ermöglichen.

Die Auslieferungsliste dient im Gesprächspoker möglicherweise als Verhandlungsmasse, die von Ankara im Gegenzug für andere Zugeständnisse aufgegeben werden kann. Wichtiger ist der Türkei die Beendigung des Waffenembargos europäischer Staaten. Die finnischen und schwedischen Delegationen reisten nach ihrem Treffen mit Kalin nach Hause, um ihre Regierungen zu informieren. Die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson hatte vor dem Treffen in Ankara erklärt, es gebe "Missverständnisse" im Streit mit der Türkei. Sie stellte klar, dass ihr Land keine Waffen oder Geld an Terrororganisationen schicke. Die türkische Regierung wirft Schweden vor, die PKK-nahe Miliz YPG in Syrien zu unterstützen.

Erdogans Veto-Drohung verhindert einen reibungslosen Nato-Beitritt von Finnland und Schweden, die wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine den Schutz durch die Allianz suchen. Bei ihren Verbündeten trifft die Türkei mit ihrer Haltung auf Unverständnis.