"El País" (Madrid)

"Die Botschaft könnte klarer nicht sein. (Russlands Präsident Wladimir) Putin dreht den Gashahn zu, bevor seine Kunden ihre Unabhängigkeit von Russland erreichen. Als Begründung dient die Forderung, in Rubel statt in Euro oder Dollar zu zahlen. Tatsächlich handelt es sich um eine Bestrafung vor allem Polens für seine Hilfe für die Ukraine. Für die übrigen Kunden ist es eine Erpressung. Putin braucht sich dabei nicht um die Folgen für seine Bürger oder mögliche Wahlschlappen nach einer Wirtschaftskrise kümmern. Anders als europäische Demokratien setzt der Kreml auf die brutale Unterdrückung von Protesten, die Verhaftung von Kriegsgegnern und eiserne Zensur.

Putin setzt auf die Differenzen innerhalb der EU, vor allem wegen der Zurückhaltung der bei Gas abhängigsten Länder wie Deutschland. Aber Berlin will schon in einigen Tagen auf russisches Öl verzichten und hat die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine angekündigt. Nun zwei hochgradig abhängigen Ländern das Gas abzudrehen, während andere weiter beliefert werden, drückt den Wunsch nach Spaltung aus, ist aber auch ein Zeichen der Ohnmacht angesichts der internationalen Front, die sich gegen Putin gebildet hat."

"Hospodárské noviny" (Prag)

"Man muss sich ansehen, warum Russland diese beiden Länder ausgewählt hat. Der offizielle Grund ist, dass Warschau und Sofia nicht für Erdgaslieferungen in Rubel zahlen wollten. Doch bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass Russland diese beiden Länder für Schritte bestrafen will, welche die russische Position in Europa und der Ukraine schwächen. Polen hat sich mit Deutschland auf die künftige Lieferung von Erdöl über den Hafen in Danzig (Gdansk) geeinigt. Das ermöglicht es Berlin, sich in den nächsten Wochen vom russischen Öl zu lösen. Die liberale und proeuropäische Regierung in Bulgarien hat sich aus Sicht des Kremls auf andere Weise versündigt. Sofia hat der Ukraine Artilleriemunition im sowjetischen Kaliber 152 Millimeter geliefert, das in ganz Europa zur Mangelware geworden ist."

"De Standaard" (Brüssel)

"Aus einem historischen russischen Eroberungsfeldzug ist ein Kampf für das Überleben einer kleinen Clique im Kreml geworden. Doch gerade das macht die kommende Phase dieses Konflikts so unberechenbar und gefährlich. (...) Das Vorgehen gegen eine aufgeschreckte Weltmacht ist riskant, besonders für Europa, das bereits jetzt schwer unter wirtschaftlichen Folgen des Waffengeklirrs leidet. Wenn Putin die Gaswaffe rasch auch gegen Deutschland einsetzt, geht der Lokomotive Europas der Dampf aus. Diese Waffe ist zwar zweischneidig und beschleunigt möglicherweise den Untergang Russlands, aber nicht ohne schwere Schäden auf unserem Kontinent anzurichten."

"Neue Zürcher Zeitung"

"Es ist klar, dass der Lieferstopp auch eine Warnung an alle anderen Gasabnehmer in der EU sein soll, besonders an Deutschland, sich im Sinne Moskaus wohlzuverhalten. Bisher hieß es auch, dass man gegenseitig voneinander abhängig sei: Europa braucht das Erdöl und
das Erdgas. Und Moskau ist auf die Einnahmen aus den Energieexporten
angewiesen, zumal die Erlöse aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft die
wichtigsten Devisenbringer sind. (...)

Die Frage ist nun, ob der Kreml generell noch an die gegenseitige
Abhängigkeit mit Europa glaubt. Die europäischen Länder signalisieren bis anhin, dass sie sich aus der russischen Umarmung der Energielieferungen winden wollen. Das heißt auch, dass das Kalkül des Kremls lautet: Wenn der ökonomische Schaden für die EU-Staaten hoch sein sollte, sollten die Energielieferungen eher früher als später gestoppt werden. Offenbar ordnet der Kremlherrscher Wladimir Putin auch die ökonomische Rationalität seinen irrsinnigen politischen Plänen unter. Die Frage lautet
deshalb nicht mehr, ob Europa sich ein Erdgasembargo leisten kann, sondern wie und wie schnell man sich auf einen russischen Lieferstopp vorbereitet."

"de Volkskrant" (Amsterdam)

"Polen steht ohnehin kurz davor, den Import von russischem Gas zu beenden. Gegen Ende des Jahres soll es an eine neue Leitung aus Norwegen angeschlossen werden und hat Putins Gas dann nicht mehr nötig. (...) Auch Bulgarien hat in den kommenden Monaten nur begrenzte Probleme durch den Lieferstopp, da seine Wirtschaft vor allem auf Kohle beruht. Es fragt sich, was Putin mit seiner Aktion erreichen will. Fürs Erste tut er damit niemandem weh.

Das ist Putins Dilemma. Wenn er den Gashahn vollständig zudreht, schadet er damit vor allem sich selbst, wenngleich auch die EU-Wirtschaft hart getroffen wird. Auch die Niederlande bekommen dann Probleme, wobei es erst wirklich schmerzhaft wird, wenn im kommenden Winter die Heizungen angehen. Ist Europa dann aber durch den Winter gekommen, haben die Mitgliedstaaten im Jahr darauf genügend Alternativen für Putins Gas. (...) Er muss also abwägen: Belässt er es bei diesen Nadelstichen oder geht er aufs Ganze? Bisher sieht es eher danach aus, dass er zwar die gefürchtete Gaswaffe eingesetzt hat, deren Lauf aber vor allem auf seinen eigenen Fuß gerichtet ist."

"Magyar Nemzet" (Budapest, regierungsnah)

"Vielleicht sollte man sich daran erinnern: am Anfang der Vergiftung der Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine stand an der Jahreswende 2005/06 gleichfalls ein Gasdisput, als der Gashahn abgedreht wurde. Sowohl Europa als auch Ungarn müssen daran
arbeiten, die Abhängigkeit (vom russischen Gas) zu senken, aber nicht auf Kosten der heutigen Energiesicherheit. Der Krieg (in der Ukraine) wird einmal zu Ende gehen. Doch unsere geografische Entfernung zu Moskau wird sich nicht um einen einzigen Meter verkürzen. Die Russen, die bisher zuverlässige Lieferanten waren, haben wiederum Gasreserven für Jahrhunderte (...). Es lohnt sich abzuwarten: so wie der Zorn ein schlechter Ratgeber ist, ist Besonnenheit ein guter."

"Dagens Nyheter" (Stockholm)

"Am Mittwoch hat Russland Polen und Bulgarien das Gas abgestellt.
Wenn es weiterhin zu den riesigen Märkten Deutschland, Italien und
Niederlande fließt, kostet das den Kreml nicht viel. Der wirkliche
Kraftmesser wird sein, wenn Deutschland an die Reihe kommt. Polen
und Bulgarien importieren 2021 zusammen 10 Milliarden Kubikmeter an
russischem Gas – die Deutschen fast 143 Milliarden. Putin hofft, dass sich (der deutsche) Kanzler Olaf Scholz – wie Ungarns Viktor Orbán – der Forderung beugen wird, in Rubel zu bezahlen. Das darf absolut nicht passieren.

Deutschland hat eine moralische Verantwortung gegenüber der Ukraine, Putins Terrorregime nicht mehr zu finanzieren. Niemand hat deutsche Regierungen gezwungen, die eigene Wirtschaft abhängig von russischer Energie zu machen. Wie (die frühere deutsche Kanzlerin) Angela Merkel gerne den Griechen und Spaniern während der Eurokrise für gut zehn Jahren erklärt hat, müssen Länder Verantwortung für ahnungslose Politik übernehmen, wenn sie die Wirklichkeit einholt. Das gilt auch für Deutschland."

"Sme" (Bratislava)

"Die Ankündigung der russischen Gazprom, dass sie die Gaslieferungen an Polen und Bulgarien einstelle, weil deren Gasfirmen nicht in Rubel zahlen, bestätigt Wladimir Putins Drohung von Anfang April. Weil die Termine der laufend fälligen Zahlungen unterschiedlich sind, wird auch die Rubel-Pflicht nur schrittweise wirksam. Das ermöglicht dem Kreml ein 'Spiel' mit den einzelnen Staaten und Gasabnehmerfirmen, um diese im Widerspruch zu den bisherigen Verträgen stehende und die Sanktionsmechanismen unterlaufende Zahlungsbedingung durchzusetzen.

Zugleich eröffnet sich für das Putin-Regime damit ein politisches
Instrument, um die Einigkeit zwischen den Ländern der Europäischen
Union zu stören und gegenseitiges Misstrauen unter ihnen zu wecken. (...) Dass sich Putin zuerst Polen und Bulgarien vornahm, hat nicht nur eine gasgeschäftliche Logik, sondern auch eine sicherheitspolitische. Beide Staaten sind wichtige Transitländer. (...) Ihnen das Gas abzudrehen, aber weiterhin durch sie hindurch Gas an Deutschland und Ungarn zu liefern, erzeugt eine Spannung zwischen den EU-Ländern und ermöglicht es Russland, jene mit Gas zu 'belohnen', die in der Unterstützung der Ukraine und bei der Durchsetzung von Sanktionen zurückhaltender sind."