Sein körperlicher Zustand korrespondiert mit dem Zustand seiner Anti-Korruptionsbewegung: Nach rund 100 Tagen im Straflager war Alexei Nawalny heute Vormittag erstmals wieder öffentlich zu sehen – nämlich erneut vor Gericht. Per Video wurde er aus dem Lager zu einem Berufungsverfahren wegen Veteranenbeleidigung zugeschaltet, und was ins Auge sprang, war sein Äußeres: der Kopf kahl geschoren; der Körper abgemagert.

Erst vor wenigen Tagen hatte Nawalny einen Hungerstreik beendet, mit dem er erzwingen wollte, von seinen Vertrauensärzten untersucht zu werden, denn im Straflager hatten sich Lähmungserscheinungen in den Beinen eingestellt. Nawalny war im August in Russland mit Nowitschok, das in seiner Unterhose angebracht worden war, vergiftet worden. Der Kreml-Kritiker macht dafür den russischen Geheimdienst verantwortlich. Der Kreml weist dies zurück. Nachdem er aber zumindest von zivilen Ärzten außerhalb des Gefängnisses untersucht worden war, hatte Nawalny den Hungerstreik eingestellt.

Der 44-Jährige war im Februar zu einer hohen Geldstrafe verurteilt worden, weil er einen Weltkriegsveteranen verunglimpft haben soll. Nawalny hatte das Verfahren als politisch motiviert bezeichnet. Hintergrund war seine Kritik an einem Video, das das russische Staatsfernsehen vorigen Sommer ausgestrahlt hatte. Darin warben mehrere Bürger – auch ein 94-jähriger Veteran – für eine Verfassungsänderung, die der Sicherung von Putins Macht dient. Nawalny beschimpfte die Protagonisten auf Twitter damals als "Verräter". Das wurde ihm als Veteranenbeleidigung ausgelegt. Wann ein Urteil im Berufungsverfahren gefällt wird, ist noch offen.

Arbeitsverbot

Schlechte Nachrichten gab es für den Oppositionellen am Donnerstag von seinen Mitarbeitern aus der Antikorruptionsstiftung Nawalnys: Sie teilten mit, die Arbeit der politisch aktiven Stäbe in den Regionen einzustellen. Die russische Justiz hatte am Montag die Organisationen des Oppositionellen mit einem Arbeitsverbot belegt. Zuvor hatten die Behörden angekündigt, man prüfe, diese als "extremistisch" einzustufen, weil sie "die gesellschaftlich-politische Lage im Land" destabilisierten.

Arbeitsräume versiegelt

Es sei unmöglich, die Arbeit des Netzwerks in seiner jetzigen Form fortzusetzen, so Nawalnys Vertrauter Leonid Wolkow. Die Behörden würden die Konten einfrieren, die Räumlichkeiten versiegeln "und unsere Offline-Arbeit in Russland insgesamt unmöglich machen", so Wolkow.

Parlamentswahl

Im Herbst stehen in Russland Parlamentswahlen an, das Arbeitsverbot gilt als Schlag gegen die Oppositionsbewegung. Diese hatte bei früheren Wahlen mit dem System der "klugen Stimmabgabe" gepunktet: Dabei riefen Nawalny und seine Leute die Bürger dazu auf, immer für jenen Kandidaten zu stimmen, der die besten Chancen hatte, gegen den Kreml-Kandidaten zu gewinnen. "Der Kampf für die Freilassung Alexei Nawalnys wird in jedem Fall fortgesetzt", so Leonid Wolkow.