Der Putsch in Myanmar war noch keinen Tag alt. Schon meldete sich Nachbarland Bangladesch zur Rohingya-Frage zu Wort. Man hoffe, weiterhin die Flüchtlinge in ihre Heimat zurückbringen zu können.

Zurück in eine Heimat, in der sie nie erwünscht waren. Denn die Flüchtlinge sind eine muslimische Minderheit im mehrheitlich buddhistischen südostasiatischen Land. Die Regierung in Myanmar erkennt die seit Generationen im Land lebenden Menschen nicht als Staatsbürger an. Sie gelten als „Mitbringsel“ der einstigen britischen Kolonialherren aus dem heutigen Bangladesch. So wurden sie in Myanmar auch behandelt. Systematische Verfolgungen des Militärs waren die Folge – die UNO spricht von einem Genozid, die Vertriebenen von Mord, Vergewaltigungen, Raub und Brandstiftung.

„Früher hatte ich eine Familie. Ich war Vater, Großvater, Ehemann. Heute bin ich das nicht mehr. Ich bin allein. Meine Familie ist tot. Alle sechs Kinder und meine Frau. Wie ich überlebt habe, weiß ich bis heute nicht. Ich weiß nur mehr, dass ich gerannt bin. Drei Tage lang“, erzählt etwa Jahir Ahmad bei einem Besuch der Kleinen Zeitung im Flüchtlingslager in Cox’s Bazar im Februar vergangenen Jahres. Er ist nur einer der geschätzten 900.000 seines Volkes, die im größten Flüchtlingscamp der Welt ausharren. Die Hälfte der Bewohner des Camps sind Kinder. Jahir Ahmad fürchtet vor allem um ihre Zukunft. „Für mich wünsche ich mir nichts mehr. Aber für die vielen Kinder hier. Sie sollen eine Zukunft haben. Sie sollen Gerechtigkeit erfahren. Sie sollen lernen. Sie sollen eines Tages zurückkehren können. Denn hier, das ist nur vorübergehend. Das ist kein Zuhause.“

Jahir Ahmad, einer der Geflohnen
Jahir Ahmad, einer der Geflohnen © (c) ARMIN_MOESINGER


Auch Bangladesch will nicht, dass die Menschen bleiben. Noch während der Vertreibung vereinbarten sie mit Myanmar die vollständige Rückführung der Rohingya. Doch das ist bis heute nicht geschehen. Bangladesch hatte kurz vor dem Putsch begonnen, Tausende Flüchtlinge auf eine Insel zu bringen, die nach Angaben von Hilfsorganisationen während der Monsunsaison heftigen Stürmen und Überflutungen ausgesetzt ist. Auch das soll nur eine Übergangslösung sein. Denn ein Ende des Konflikts scheint nicht in Sicht, im Gegenteil: Der Militärputsch dürfte die Lage noch prekärer gemacht haben.


Amnesty International fürchtet seit der Machtübernahme des Militärs um das Wohlergehen der Rohingya und weiterer ethnischen Minderheiten. „Wir sind sehr besorgt“, so Kayleigh Long, Menschenrechtlerin mit Fokus auf Myanmar. Etwa 120.000 Mitglieder der Minderheit dürften sich noch im Land befinden. Sie leben in Lagern – ohne Zugang zu Bildung und mit schlechter Versorgung, so die UNO. „Wir befürchten, dass die Ereignisse die Situation für sie verschlimmern könnten“, sagte auch UN-Sprecher Stéphane Dujarric. Ebenso könne die Situation vor Ort die Rückkehr der Rohingya aus dem Ausland beeinträchtigen. Unter diesen Umständen „sei eine sichere Rückkehr nach Myanmar nicht möglich“, erklärte die Menschenrechtsexpertin Long. Bis Ende letzten Jahres haben zudem Konflikte zwischen dem Militär und der Arakan Rohingya Salvation Army, eine islamistische Rebellengruppe, die Lage in der ehemaligen Heimat der Rohingya sehr instabil gemacht. Diese Konflikte könnten nun erneut aufflammen, zeigt sich Amnesty besorgt. In den vergangenen drei Jahren haben internationale Menschenrechtsorganisationen unermüdlich darauf hingewiesen, dass eine Repatriierung keine Option sei.


Zudem ist es vor allem ein Name, der mit den Verbrechen an den Rohingya in Verbindung gebracht wird: Min Aung Hlaing – jener General, der nun in Myanmar die Macht übernommen hat. International galt der Burmese schon vor dem Putsch als „Persona non grata“. 2019 wurde Min Aung Hlaing wegen seiner Rolle bei den ethnischen Säuberungen gegen die Rohingya mit US-Sanktionen belegt. Facebook verbannte den Oberbefehlshaber wegen Hassreden gegen die Minderheit aus seinem Netzwerk. Ermittler der Vereinten Nationen fordern gegen ihn und andere hochrangige Militärs eine Anklage wegen Völkermords. Min Aung Hlaing bestreitet hingegen die brutale Verfolgung. Dass er nun der entscheidende Machtfaktor in Myanmar ist, dürfte die Lage für die muslimische Minderheit zusätzlich verschärfen.


Aber auch Aung San Suu Kyi selbst, Friedensnobelpreisträgerin und bis zum Putsch Regierungschefin, wird von vielen Rohingya für die Verfolgungen mitverantwortlich gemacht. Im Ausland büßte sie ihren Ruf als demokratische Vorkämpferin ein, weil sie die Gräueltaten der Armee gegenüber der muslimischen Minderheit nie öffentlich verurteilte und die Angriffe sogar verteidigte. Manche Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch zeigten sich glücklich über die Festnahme der einstigen Regierungschefin. Ihre Entmachtung „scheint wie ein Fluch Allahs gegen sie gewesen zu sein“, sagte Rohingya-Anführer Mohammad Kalim in einer Reaktion auf den Putsch.


Ob dieser jedoch ihre Situation verbessern dürfte, wird von den Experten mehr als bezweifelt. Suu Kyi hat die Vertreibung der Minderheiten zwar nie verurteilt, die treibende Kraft dahinter war sie jedoch nie.