Nach dem Scheitern des 14-monatigen Feldzuges von Khalifa Haftar gegen Tripolis werden die strategischen Karten in Libyen neu gemischt. Der Ton zwischen den externen Verbündeten der libyschen Kriegsparteien wird immer schriller. Eine direkte Konfrontation nahöstlicher Regionalmächte scheint nicht mehr ausgeschlossen. Die Türkei als wichtigster Schutzherr von Tripolis will sich eine permanente Machtbasis in Nordafrika schaffen. Das bringt sie auf direkten Kollisionskurs mit Ägypten und den Emiraten, aber auch mit Frankreich, während Russlands Rolle weiter undurchsichtig bleibt. Was braut sich in Libyen vor den Toren Europas zusammen? – Fünf Fragen und Antworten.

Wie ist die Kriegssituation?

Haftars so genannte „Libysche Nationalarmee“ (LNA) hat sich nach ihrer Niederlage vor Tripolis nach Osten zurückgezogen. Auf dem Vormarsch sind nun die Milizen und Söldner der „Regierung der Nationalen Übereinkunft“ (GNA) aus Tripolis. Die Front verläuft derzeit zwischen der Küstenstadt Sirte und der Oase Al-Jufra im Süden. Damit befinden sich die wichtigsten Ölfelder und Exportpipelines noch in der Hand Haftars.

Welche Strategie verfolgt die Türkei?

Recep Tayyip Erdogan hat mehrere Ziele im Auge: Im Westen Libyens will er zwei permanente Militärbasen etablieren, in Mittel-Libyen den Öl-Halbmond unter seine Kontrolle bringen und im Mittelmeer sich mit Hilfe von Tripolis einen Korridor zur Förderung von Gasvorkommen sichern. Den Fliegerhorst Al-Watiyah nahe der Grenze zu Tunesien möchte Ankara künftig als Luftwaffenstandort nutzen und Misrata als Marinestützpunkt. Durch eine Eroberung von Sirte und Al-Jufra kämen auch die wichtigsten Ölanlagen Libyens in Reichweite Ankaras, was Ägyptens Militärherrscher Abdel Fattah al-Sisi am Wochenende zur „roten Linie“ erklärte. Wo auch immer diese Linie gezogen werde – „die Türkei ist zur dominierenden Macht in Westlibyen geworden und Russland zum wichtigsten Schutzherrn Haftars“, schreibt der Libyen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Wolfram Lacher. Damit eröffne sich für Russland und die Türkei die Möglichkeit, „Libyen unter sich in Einflusszonen aufzuteilen“.

Wie reagieren Ägypten, die Emirate und Frankreich als Verbündete Haftars?

Abdel-Fattah al-Sisi stimmte seine Armee kürzlich erstmals auf einen möglichen Kriegseinsatz in Libyen ein, auch um sein Land in dem regionalen Machtpoker im Spiel zu halten. „Seid bereit für jegliche Mission innerhalb unserer Grenzen - oder wenn nötig außerhalb unserer Grenzen“, sagte der Ex-Feldmarschall beim Besuch einer Kaserne unweit der libyschen Grenze. Als Anlass für eine „direkte Intervention“ nannte Sisi den Fall von Sirte und Al-Jufra. Ihm geht es vor allem darum, die poröse, 1200 Kilometer lange Westgrenze zu Libyen zu sichern und das Einsickern von Terrorgruppen zu verhindern. Frankreich Präsident Emmanuel Macron, dessen Land als einzige europäische Nation Haftar unterstützt, äußerte Verständnis für die Sorgen Kairos und warf der Türkei vor, ein „gefährliches Spiel“ zu treiben. „Ich möchte Libyen nicht in einem oder in zwei Jahren in derselben Lage sehen wie heute Syrien“, erklärte er.

Welche Rolle spielt Russland?

Moskau löste mit dem plötzlichen Abzug seiner 1200 Wagner-Söldner den Kollaps von Haftars Offensive gegen Tripolis aus, ein Vorgehen, was offenbar mit Ankara abgestimmt war. Die russischen Einheiten galten als das Rückgrat der Angreifer und befinden sich jetzt auf dem Militärflugplatz Al-Jufra im Süden, wo seit einigen Wochen auch russische Kampfjets stationiert sind. Ziel des Kremls könnte sein, mit der Türkei eine ähnlich ambivalente Kooperation aufzuziehen wie in Syrien und auf diese Weise Libyen dauerhaft zu spalten. Das gäbe Moskau die Möglichkeit, beide Kriegsschauplätze miteinander zu verknüpfen, zum Beispiel türkische Konzessionen im syrischen Idlib zu fordern und dafür Zugeständnisse bei Sirte und dem libyschen Öl-Halbmond anzubieten.

Welche Rolle spielen Deutschland und Europa?

Europa ist bei Libyen gespalten. Während Frankreich de facto auf der Seite Haftars steht und die Europäische Union jetzt ultimativ aufforderte, ihr Verhältnis zur Türkei „ohne Tabus“ zu überdenken, hält Italien engen Kontakt zu Tripolis. Zusammen mit seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas appellierte der italienische Außenminister Luigi di Maio an die Konfliktparteien, die verän­der­ten Kräf­te­ver­hält­nis­ses zu nutzen und Friedensverhandlungen in Gang zu bringen. Doch die Aussichten sind gering, vor allem weil das auf der Berliner Libyen-Konferenz vereinbarte Waffenembargo nicht funktioniert. Die Luftbrücke für Kriegsgerät von den Emiraten nach Ost-Libyen läuft ungebremst. Und bei der bisher einzigen Kraftprobe auf dem Mittelmeer wurde die französische Fregatte „Le Courbet“, die einen verdächtigen Frachter kontrollieren wollte, von zwei türkischen Kriegsschiffen zum Abdrehen gezwungen.