Die Terrorattentate werden häufiger und blutiger. Am Heiligen Abend  Heiligabend fielen in Burkina Faso über 200 Jihadisten auf Motorrädern in die Kleinstadt Arbinda im Norden des Landes ein und massakrierten 35 Zivilisten, fast alle von ihnen Frauen. Bei einem ähnlichen Großangriff des „Islamischen Staates“ im Nordosten Malis starben Anfang November 49 einheimische Soldaten. Ein französischer Militär kam ums Leben, als sein gepanzertes Fahrzeug in eine Sprengfalle fuhr. 13 französische Soldaten wurden bei der Kollision zweier Kampfhubschrauber getötet, die ein Terrorkommando jagten. Nahe der Grenze zu Mali kam eine algerische Patrouille in der südlichen Ortschaft Tawendert unter Feuer, der erste IS-Angriff auf algerischem Territorium seit 2017. Im Niger überfielen mehrere hundert Extremisten mit Selbstmordfahrzeugen ein Militärlager und erschossen 71 Soldaten. Präsident Mahamadou Issoufou rief eine dreitägige Staatstrauer aus und forderte mehr Hilfe von der internationalen Gemeinschaft. „Sie sind verantwortlich für das, was uns derzeit zustößt, wegen ihrer desaströsen Entscheidung, in Libyen zu intervenieren“, erklärte er.

Denn mittlerweile breiten sich die Terrorzellen am Südrand Europas in der Subsahara-Region unterhalb der nordafrikanischen Maghreb-Staaten immer schneller aus. Das Jihadisten-Problem begann 2012 in Mali, ein Jahr nach dem von der Nato herbeigebombten Sturz von Muammar Gaddafi. Dessen zerfallene Heimat entwickelte sich zu einer Drehscheibe des regionalen Waffenhandels. Unmengen an Kriegsgerät aus libyschen Depots gingen über die Grenzen, fanden ihren Weg in die Sahelzone, aber auch nach Nordsinai in Ägypten und bis nach Syrien.

Hauptlast im Kampf trägt Frankreich

Allein in Mali haben mittlerweile tausende Zivilisten bei Überfällen und Gefechten ihr Leben verloren. Eine Million Menschen sind vor den Extremisten auf der Flucht. Die Hauptlast des militärischen Antiterrorkampfes trägt bislang Frankreich. 2014 schickte Paris im Rahmen seiner Operation „Barkhane“ 4500 Spezialkräfte in den Staatengürtel von Mauretanien, Mali, Burkina Faso und Niger bis zum Tschad. Seit 2016 nimmt auch das Bundesheer an der 13.000-köpfigen Blauhelmtruppe der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (Minusma) teil, mit bisher 196 Toten die tödlichste Mission, auf die sich die UN je in der Geschichte eingelassen haben. Das französische Korps verlor 31 Soldaten.

Die sich rapide verschlechternde Lage in der Sahelzone ist deshalb so brisant für Europa, weil auch die nordafrikanischen Pufferstaaten entlang der Mittelmeerküste immer mehr ins Wanken geraten. In Libyen herrscht Bürgerkrieg, Algerien und Tunesien haben mit wachsender Instabilität zu kämpfen. In weiten Teilen Algeriens kommt es seit zehn Monaten jede Woche zu Massenprotesten, die erst den schwerkranken Langzeitpräsidenten Abdelaziz Bouteflika zum Rücktritt zwangen und jetzt eine fundamentale Reform des korrupten Regierungssystems fordern. Im Gegenzug versuchte die Armeeführung Mitte Dezember, der Volksbewegung mit der Wahl eines neuen Präsidenten den Wind aus den Segeln zu nehmen, um ihre eigenen Privilegien zu retten. Doch die Algerier pochen weiter auf einen grundlegenden Neuanfang - und so geht der Machtkampf zwischen Herrscherclique und Bevölkerung jetzt in die nächste Runde. Tunesien wiederum bekommt seine wirtschaftlichen Probleme nicht in den Griff. Gleichzeitig wächst in den östlichen Grenzgebieten die Unsicherheit wegen der Nähe zu Libyen.

Libyen wird zum Stellvertreterkampf

Denn der Bürgerkrieg in dem Post-Gaddafi-Staat wird immer mehr zu einem erbitterten Stellvertreterkampf. Türkei, Italien und Qatar mischen auf der Seite der international anerkannten „Regierung der Nationalen Übereinkunft“ (GNA) von Tripolis mit. Die „Libysche Nationalarmee“ (LNA) des 76-jährigen selbsternannten Feldmarschalls Khalifa Haftar dagegen wird unterstützt von Russland, Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und in einem gewissen Maße auch von Frankreich. Kein Wunder, dass Experten der Vereinten Nationen trotz des bestehenden Embargos mittlerweile einem ungehemmten Zufluss an Waffen und Söldnern in das nordafrikanische Land registrieren, was zu einem zweiten Syrien zu werden droht.

Wladimir Putin schickte in den letzten drei Monaten mindestens 1000 Söldner des privaten russischen Sicherheitsunternehmens Wagner, die Haftar zum Sieg über Tripolis verhelfen sollen. Im Gegenzug bot Recep Tayyip Erdogan, der am Weihnachtstag zu einem Kurzbesuch nach Tunesien reiste, der bedrängten Einheitsregierung von Ministerpräsident Fayez al-Sarraj türkisches Militär zur Verteidigung der libyschen Hauptstadt an. „Wir können zu dem Ganzen nicht schweigen“, sagte er und kündigte an, sein Land ziehe für eine militärische Unterstützung alle Optionen in Erwägung - Bodentruppen, Marine und Luftwaffe. Ein solcher türkischer Aufmarsch wiederum könnte Ägypten und die Emirate provozieren, ebenfalls mit Soldaten zu intervenieren. Und dann droht - wie bei Syrien im östlichen Mittelmeer – auch im zentralen Mittelmeer der nächste internationale Waffengang.

Jihadisten profitieren

Profitieren von dem Chaos würden vor allem die Jihadisten. Der IS in Libyen könnte wieder erstarken, die Terrorgefahr aus dem Subsahara-Gürtel bald auch die Mittelmeerregion erreichen. „Die Lage ist jetzt schon ausgesprochen schlecht und wird noch viel schlechter werden“, erklärt Michael Shurkin, Politologe bei dem amerikanischen Think Tank „Rand Corporation“. Die Zahl der einheimischen afrikanischen Soldaten sei viel zu gering genauso wie ihre Fähigkeiten und ihre Ausrüstung. Auch die französischen Kampftruppen vor Ort seien viel zu schwach. „Was auf dem Spiel steht, ist die Sicherheit der Südgrenze Europas“, erklärte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian kürzlich vor dem Senat in Paris und forderte, „unsere Verbündeten müssen sich dringend stärker engagieren“.