Mohammed Eid versuchte, sich mit Schlüsselanhängern über Wasser zu halten. Der 23-Jährige gehörte zu den Heerscharen von fliegenden Händlern, die auf Ägyptens Bahnhöfen durch die Züge laufen, um ihre Kleinigkeiten zu verkaufen. Als sich jedoch der Nachtzug von Alexandria nach Luxor nach einem Halt im Nildelta in Bewegung setzte, waren er und sein Kollege Ahmed Mohamed noch an Bord - ohne Fahrkarte.
Was dann geschah, sprach einer der entsetzten Passagiere des Waggons in seine Handykamera: „Der Schaffner öffnete die Tür und stieß ihn hinaus, während der Zug bereits fuhr. Dabei geriet er unter die Räder. Jeder hier war Zeuge“, sagte der junge Mann. „Was in diesem Land passiert, ist einfach nicht mehr auszuhalten.“

Leben ist wenig wert

Der Vorfall zeige, wie wenig wert ein Leben sei, empörten sich Zehntausende unter dem Hashtag „Der Ticket-Märtyrer“. „Zwei junge Männer wurden unter einen Zug geworfen wegen zwei Dollar. Wir sind billiger als eine Schachtel Zigaretten“, twitterte einer. Andere spotteten mit Blick auf die Verarmung im Land, „wir sitzen alle im gleichen Zug, nur der Schaffner ist noch nicht gekommen“. Jemand stellte die Zeichnung eines aus dem Zug Gestoßenen ins Netz, dem der Kontrolleur hinterherbrüllt: „Wenn wir dir sagen, du hast zu bezahlen, dann wirst du bezahlen.“

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurde gegen den Schaffner Anklage wegen Totschlags erhoben. Er habe die jungen Männer, von denen der andere schwer verletzt im Spital liegt, vor die Wahl gestellt, entweder eine Fahrkarte zu kaufen, der Polizei übergeben zu werden oder abzuspringen. Der Beamte bestreitet jedoch, die Händler aus dem fahrenden Zug gestoßen zu haben. Andere Fahrgäste sagten aus, die beiden hätten den Schaffner angefleht, sie bis zum nächsten Halt mitfahren zu lassen – vergeblich.

Wogen glätten

Zwar bemühte sich das Regime danach eilends, die Wogen zu glätten, indem es den Schaffner verhaften und den beiden Familie Schmerzensgeld zusagen ließ. Doch der tödliche Vorfall symbolisiert für viele die mittlerweile schrankenlose Barbarei des Staates unter Machthaber Abdel Fattah al-Sisi. Nach offiziellen Statistiken leben heute 32,5 Prozent aller Ägypter unter der Armutsgrenze. Für mindestens 30 Millionen Menschen reicht das Geld kaum noch für Brot.

Nach Unruhen im September ließ das Regime über 4000 Menschen festnehmen, mehr als bei den Protesten überhaupt auf den Straßen waren. Kürzlich attackierten Schläger der Staatssicherheit sogar Gamal Eid, den international bekanntesten Menschenrechtler Ägyptens. Zwei bewaffnete Männer verprügelten ihn auf offener Straße, brachen ihm die Rippen. „Benimm dich“, drohten ihm Anrufer per Telefon.

Beispiellose Repression

Angesichts dieser beispiellosen Repression forderte das Europäische Parlament letzte Woche erstmals eine „tief greifende und umfassende Überprüfung“ der EU-Beziehungen zu Ägypten. Auch die laufende Budgethilfe aus Brüssel müsse „ernsthaft“ überdacht werden. Der UN-Menschenrechtsrat befasst sich am 13. November mit den Zuständen am Nil.

Und so sieht der Kolumnist Ashraf Al-Barbary der Zeitung „Al-Shorouk“ die grassierende Angst in der Bevölkerung als die eigentliche Ursache für den Tod des jungen Straßenhändlers. Der Schaffner habe kein Verständnis gezeigt, weil er Angst vor seinen Vorgesetzten habe. Die beiden jungen Männer seien aus einem fahrenden Zug gesprungen, weil sie Angst vor der Polizei gehabt hätten. Und die Fahrgäste hätten schweigend zugeschaut, weil sie in Angst leben.