Nach tagelangen blutigen Protesten im Irak gerät die irakische Regierung zunehmend unter Druck. Die Zahl der Toten seit Beginn der Demonstrationen gegen Korruption und Misswirtschaft am vergangenen Dienstag stieg auf rund 100, wie die staatliche Menschenrechtskommission in Bagdad und Augenzeugen berichteten. Fast 4.000 Menschen wurden demnach verletzt.

Die allermeisten Opfer seien Demonstranten gewesen, erklärte die Menschenrechtskommission. Sicherheitskräfte waren in den vergangenen Tagen immer wieder mit Tränengas und Schüssen gegen die Proteste vorgegangen.

Regierungschef Adel Abdel Mahdi hob eine Ausgangssperre auf, die er am Donnerstag verhängt hatte, um die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen.

In Bagdad kam es am Samstag erneut zu Demonstrationen. Augenzeugen und Aktivisten berichteten, sieben Menschen seien im Zentrum der Hauptstadt getötet worden. Sicherheitskräfte hätten auf einen Protest mit rund 200 Menschen geschossen. Demonstranten hätten Autoreifen angezündet.

Fernsehstudios gestürmt

Der irakische Sender NRT und der von Saudi-Arabien finanzierte Nachrichtenkanal Al-Arabija berichteten, ihre Studios in Bagdad seien am Samstagabend gestürmt worden. Aus Sicherheitskreisen hieß es, Mitarbeiter von Al-Arabija seien angegriffen worden. Unklar war zunächst, wer für die Angriffe verantwortlich war. Beide Sender hatten in den vergangenen Tagen ausführlicher als regierungstreue irakische Kanäle über die Proteste und Opferzahlen berichtet.

Das Internet blieb landesweit den Samstag über größtenteils unterbrochen. Eine Delegation des Parlaments habe sich mit 50 Vertreten der Demonstranten getroffen, um über deren Forderungen zu sprechen, sagte der Abgeordnete Hassan Chalati der Deutschen Presse-Agentur.

"Das muss aufhören"

UN-Generalsekretär António Guterres rief die Regierung und die Demonstranten zu einem Dialog auf. Alle Beteiligten müssten "äußerste Zurückhaltung" zeigen, erklärte er in New York. Die Leiterin der UN-Mission im Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert schrieb auf Twitter zu den Toten und Verletzten: "Das muss aufhören. Ich rufe alle Parteien dazu auf, einzuhalten und nachzudenken."

Der einflussreiche schiitische Geistliche Muktada al-Sadr forderte die Regierung zum Rücktritt auf und verlangte eine Neuwahl unter Aufsicht der UN. Angesichts des "rücksichtslosen Blutvergießens" dürfe niemand schweigen, erklärte er nach Angaben irakischer Medien. Al-Sadrs Block hatte bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr die meisten Sitze gewonnen und die Regierung bisher unterstützt.

Aktivisten beklagten sich in sozialen Medien über den brutalen Einsatz der Sicherheitskräfte mit Tränengas und Schüssen. Im Internet und in irakischen Sendern waren Aufnahmen von Toten und Verletzten zu sehen. Auch Schüsse waren zu hören. Demonstranten blockierten Straßen und zündeten Reifen an. Dutzende Gebäude wurden beschädigt.

Die Proteste richten sich gegen die im Irak weitverbreitete Korruption, politischen Stillstand und die Wirtschaftskrise. Getragen werden sie im wesentlichen von jungen Männern. Viele von ihnen klagen über fehlende Arbeitsplätze oder die schlechte Infrastruktur. So gehört das Land weltweit zu den größten Ölproduzenten, leidet aber unter einem akuten Strommangel. Bereits in den vergangenen Monaten war es immer wieder zu tagelangen Protesten gekommen.