Er würde wohl selbst zu seinem eigenen Begräbnis zu spät kommen“, sagt ein verstimmter Iowaner, der in der vordersten Reihe auf einem Klappstuhl sitzt, als der ehemalige Vizepräsident und demokratische Präsidentschaftsbewerber Joe Biden die von Heuballen flankierte „Soapbox“ (Seifenkisten)-Bühne auf dem Jahrmarktgelände mit ein paar Minuten Verspätung betritt.

Etwa hundert Besucher des Iowa State Fair, eines Jahrmarktes in Des Moines, der Hauptstadt des Agrarbundesstaates im Mittleren Westen, der seit 1854 jeden August stattfindet, sind hier, um Bidens Wahlkampfrede zu lauschen. Hastig greift Biden nach dem Mikrofon und fängt an: Die Würde des Amts des Präsidenten muss wiederhergestellt werden, Lehrer müssen mehr Geld bekommen, Amerika muss wieder die Welt anführen, seine erste Amtshandlung als Präsident wäre es, dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beizutreten.

Fit genug fürs Amt?

Die Menge applaudiert. Biden, der einzige Kandidat, der für seine Rede nicht die Sonnenbrille abnimmt, redet schnell. Immer wieder schaut er auf seine Uhr. Das Mikrofon geht einige Male an und aus, er stottert und verplappert sich mehrmals: „Wir glauben an Fakten und nicht an die Wahrheit!“ Zwei Tage später wird sich US-Präsident Donald Trump in einem Tweet über die Aussage lustig machen und infrage stellen, ob Biden geistig fit genug ist für das Amt, das er innehat.

Nachdem Biden ein paar kritische Fragen aus dem Publikum beantwortete – Iowaner sind selbstbewusste Bürger, die den Kandidaten auf Augenhöhe gegenübertreten –, geht es um die Ecke, wo Biden eine kurze Pressekonferenz gibt. Vor dem Gebäude nebenan sind die Flaggen auf halbmast, um der Opfer von den Anschlägen in El Paso, Texas und Dayton, Ohio zu gedenken. Die große Frage in diesen Tagen an alle Kandidaten: Ist Trump ein „White Suppremacist“, sprich: ein Rassist, der für den Massenmord in El Paso mitverantwortlich ist? Biden weicht der Frage aus: Trump „ermöglicht“ „White Suppremacy“, aber er würde ihn nicht als Rassisten bezeichnen. Biden will Wechselwähler nicht verschrecken.

"Du hattest deine Chance"

Über die nächsten Tage verteilt, wiederholt sich dieser Politkarneval fast zwei dutzend Mal. Mit wenigen Ausnahmen stellt sich fast jeder demokratische Präsidentschaftsbewerber dem kritischen Publikum, lässt sich Dutzende Male auf Selfies ablichten und beantwortet Fragen aus dem Stegreif. Biden schmettert die Frage eines Besuchers ab: „Hey, Man, du hattest deine Chance früher.“

Iowa ist der erste Bundesstaat in den USA, in dem im Februar 2020 die demokratischen Vorwahlen abgehalten werden. Auf republikanischer Seite gibt es keine ernst zu nehmenden Gegenkandidaten zu Trump, daher spielen die Vorwahlen 2020 keine Rolle für die Partei.
Gewinnt man Iowa, steigen die Spendengelder und die Medienberichterstattung und damit die Chancen auf die Präsidentschaftskandidatur.

Über 3000 Veranstaltungen

Von jetzt bis Februar 2020 werden mehr als 3000 politische Veranstaltungen in dem Bundesstaat mit 3,1 Millionen Einwohnern abgehalten. In keinem anderen Teil des Landes kann man den einzelnen Kandidaten näherkommen. Durch diese Übersättigung wartet auch kein Wähler mehr als ein paar Minuten auf einen Kandidaten, erzählt ein US-Navy-Veteran, der aus Sioux City stammt.

Das Kronjuwel dieses Politspektakels im Jahr vor der Wahl ist der Auftritt beim Iowa State Fair, wobei die Reden im Grunde sekundär sind. Vielmehr gilt der Besuch auf diesem Jahrmarkt als Gradmesser der Authentizität und Volksnähe der Kandidaten. Und just hier wird besonders kritisch beobachtet, wer zu welchem Essen greift.
Der Markt ist bekannt für sein frittiertes Fast Food. Die Besucher wollen die Kandidaten beim Verzehr eines Corn Dogs (Würstel in Maisteig gebacken) oder eines Truthahnschenkels beobachten.

Ein unvergessener Fehler

Unvergessen bleibt John Kerrys Fauxpas 2004: Er bestellte einen Erdbeer-Smoothie. „Jemand gebe ihm bitte ein verdammtes Corn Dog in die Hand“, schrieb damals ein frustrierter Wahlkampfmitarbeiter in einer Massen-E-Mail an Kerrys Unterstützer auf dem Gelände. 2015 bestellte Hillary Clinton zwar ein Schweinskotelett, nahm aber nur ein paar Bissen davon. Clinton hatte damals auch zu viel Sicherheitspersonal um sich, was zusätzlich negativ bewertet wurde, die meisten Kandidaten kommen normalerweise mit einem Bodyguard. Und Hillary hielt auch keine Rede. Beide verloren die Wahl.

Kritisch wird an diesem Tag beobachtet, dass Joe Biden zunächst zum Eis greift. Eine andere Kandidatin, Marianne Williamson, bestellt gar nichts. „So dünn, wie die ist, überrascht mich das nicht“, sagt eine Besucherin angewidert.

Elisabeth Warren und Bernie Sanders, die nach Biden in den Umfragen auf Platz zwei und drei liegen, essen beide Corn Dogs. Warren isst mit schnellen Bissen. Sie versprüht am meisten Bodenständigkeit und wird die größte Menge anziehen. Abwechselnd kämpferisch mit der Faust nach oben, dann wieder Leute großmütterlich umarmend, ist sie auch eine der wenigen Kandidaten, die das Bad in der Menge sichtlich genießen. Kamala Harris, die derzeit an fünfter Stelle bei den Demokraten liegt, stellt sich hinter einen Grill und wendet Rindfleisch.

Hitliste mit Schweinskotelett

„Ich kann auch Republikaner wenden“, sagt sie in die Menge grinsend, um ihre Mitte-links-Agenda zu unterstreichen, für die sie auch Republikaner und moderate Demokraten versucht zu mobilisieren.
Nach Angaben des – nicht offiziellen – „Corn Poll“, der Mais-Umfrage, eines Marktstandes, wo Besucher ihre Stimmen für ihre Favoriten abgeben können, indem sie ein Maiskorn in ein Glas werfen, führt Biden nach wie vor das demokratische Feld an. Auf republikanischer Seite haben bis dato 97 Prozent der Besucher ihre Körner für Trump abgegeben.

Donald Trump hielt übrigens 2015 keine Rede, aß aber ein ganzes Schweinskotelett. Er landete mit einem Hubschrauber auf dem Gelände und lud Kinder zu Rundflügen ein. Josh Kaufmann, ein Banker bei Wells Fargo in Des Moines, der jedes Jahr den Markt besucht, sieht Trump nach wie vor als Favoriten: „Diese Wahl wird von der Babyboomer-Generation entschieden und die kümmert sich nur um die Sicherstellung ihrer Pension und will keine politische Revolution. Solange es keine Rezession gibt, wird Trump gewinnen.“