Er rechne mit einer Mehrheit für den Niederländer Frans Timmermans, sagte der frühere SPÖ-Europaabgeordnete Hannes Swoboda im APA-Gespräch. EVP-Bewerber Manfred Weber sieht er als möglichen "Platzhalter" für eine EU-Kommissionspräsidentin Angela Merkel.

"Weber ist möglicherweise nur der Platzhalter für Frau Merkel", sagte Swoboda. Er verwies auch darauf, dass der französische Präsident Emmanuel Macron keinen CSU-Politiker auf dem Posten des EU-Kommissionspräsidenten sehen wolle. Anders wäre es, wenn sich die stärkste Fraktion im Europaparlament für Webers Kontrahenten, den finnischen Ex-Premier Alexander Stubb, entschiede. "Er ist neoliberal im wirtschaftlichen Bereich, aber die Abgrenzung nach rechts ist deutlicher als bei Weber", sieht Swoboda eine größere Kompatibilität zu Macron.

Gute Chancen für Timmermans

Im Rennen um die sozialdemokratische Spitzenkandidatur zeichne sich "eine Mehrheit für Timmermans" ab, der schon genügend Unterstützungsbriefe von sozialdemokratischen Parteien gesammelt habe. Auch einige osteuropäische Parteien, die sich für Timmermans' slowakischen Kommissarskollegen Maros Sefcovic ausgesprochen hätten, könnten noch umschwenken. Allerdings räumte Swoboda ein, dass der derzeitige Vizepräsidenten der EU-Kommission kein Kandidat sei, "der über alles hinausgeht - aber das sind Weber oder Stubb auch nicht".

Auch deswegen hat der langjährige Europaabgeordnete Zweifel, dass sich das Spitzenkandidatensystem zur Bestimmung des EU-Kommissionspräsidenten nach der Wahl im Mai 2019 so durchhalten wird lassen wie bei der Premiere im Jahr 2014. Schließlich sei die Mehrheitsbildung "komplizierter geworden", verwies Swoboda auf die neue Bewegung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Man sollte den Spitzenkandidaten somit weniger als künftigen Kommissionspräsidenten sehen, "sondern als jemand, der einer Parteienfamilie ein Gesicht gibt".

Als Handicap der Sozialdemokraten im Ringen um die EU-Topjobs sieht Swoboda, dass nur noch wenige nationale Regierungen sozialdemokratisch geführt seien, wobei einige davon politisch umstritten seien. Dies könnte ein Problem werden, wenn den Sozialdemokraten wieder der Posten der EU-Außenbeauftragten zufallen sollte. So wäre etwa die Schwedin Margot Wallström als eine der letzten potenziellen Kandidatinnen für dieses Amt aus dem Rennen, wenn in Stockholm eine Rechtsregierung an die Macht kommen sollte.

Volle Unterstützung fehlte für Kern

Die Schwäche der niederländischen Sozialdemokraten sieht Swoboda nicht als Ausschlusskriterium für eine Kandidatur Timmermans'. Schließlich hätten die niederländischen Parteien vereinbart, sich hinter den Sozialdemokraten zu stellen, wenn er Aussichten auf den Posten des Kommissionspräsidenten haben sollte. In diesem Zusammenhang kritisierte Swoboda das klare Nein der türkis-blauen Regierung zu den europapolitischen Ambitionen Kerns. "Da ist die österreichische Politik sehr kleinkariert. Es wäre angebracht gewesen, auch ihn zu unterstützen", sagte der SPÖ-Politiker.

SPÖ erst einmal auf Platz 1

Der erste Platz in Österreich für die SPÖ bei der Europawahl "wäre symbolisch sehr wichtig", betonte Swoboda. Allerdings sei das der SPÖ bisher erst einmal gelungen. "Das einzige Mal, dass wir stärkste Partei waren, war, als wir in der Opposition waren", sagte er mit Blick auf die Europawahl 2004, als die SPÖ mit sieben Mandaten eines mehr erreichte als die ÖVP. "Diese Latte hat Schieder jetzt."

Timmermans könnte indes von seiner eigenen Regierung auf andere Art und Weise ausgestochen werden, gilt doch der rechtsliberale Premier Mark Rutte selbst als heißer Kandidat auf einen der 2019 zu vergebenden EU-Präsidentenposten. Der Rechtsliberale könnte Nachfolger von EU-Gipfelpräsident Donald Tusk werden oder Kommissionspräsident. Bekommt Rutte einen dieser Jobs, wäre Timmermans auf dem Abstellgleis, weil die Niederlande kaum zwei der raren Spitzenposten bekommen werden.

"Flucht nach vorn"

Swoboda war von 2012 bis 2014 - als Nachfolger des zum EU-Parlamentspräsidenten gewählten SPD-Politikers Martin Schulz - Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, wobei er sich gegen Bewerber aus Großbritannien und Frankreich durchsetzte. Dass Ex-Kanzler Kern mit seinen europäischen Spitzenkandidatur-Plänen scheiterte, erklärt Swoboda mit der geringen Vorlaufzeit. "So etwas muss man lange vorbereiten", sagte er. Die kurz vor dem EU-Gipfel in Salzburg von Kern überraschend öffentlich gemachte Kandidatur sei eine "Flucht nach vorne" gewesen.

Bündnisse nicht vor der Wahl

Grundsätzlich positiv äußerte sich Swoboda zu Kerns Idee, ein Bündnis mit Macron oder auch der griechischen Syriza zu schließen. Doch dürfe man solche Bündnisse nicht vor der Wahl eingehen, sondern erst danach. "Er hat eine gute Idee zur Unzeit gebracht", plädierte der frühere EU-Abgeordnete für mehr politische Offenheit der europäischen Sozialdemokraten gegenüber den Liberalen.

"Die Sozialdemokraten in Europa brauchen einen Erneuerungsprozess", forderte Swoboda. Konkret soll sich die Parteienfamilie von umstrittenen Mitgliedern wie jenen in Rumänien trennen, deren Politik "wenig mit Sozialdemokratie zu tun" habe.

Für internen Klärungsprozess

Man muss einigen Parteien sagen: So geht es nicht. Es ist abträglich für die Sozialdemokraten, wenn sie belastet werden durch Personen oder Parteien, die den Grundsätzen nicht entsprechen", sprach er sich für eine Prüfung solcher Parteien durch unabhängige Experten aus.