Für die Niederländer geht eine Ära zu Ende. Der frühere Ministerpräsident Ruud Lubbers ist im Alter von 78 Jahren im Beisein seiner Familie in Rotterdam gestorben, wie die niederländische Regierung am Mittwoch mitteilte. Lubbers war der am längsten regierende Ministerpräsident der Niederlande. Er hatte das Land in den 1980er und 1990er-Jahren maßgeblich geprägt.

"Die Niederlande verlieren einen Staatsmann von großem Format", sagte Ministerpräsident Mark Rutte im niederländischen Fernsehen. Er nannte Lubbers einen "überzeugten Europäer." Der Christdemokrat war von 1982 bis 1994 Ministerpräsident der Niederlande. Später, von 2001 bis 2005 war er Hochkommissar für Flüchtlinge der Vereinten Nationen.

Für viele Niederländer war Lubbers über Jahrzehnte fester Teil des öffentlichen Lebens. Sie erinnern sich an seinen so charakteristischen dicken Haarschopf, die buschigen Augenbrauen und das charmante Lächeln.

Lubbers galt als echter "Polder-Politiker", als Mann des Kompromisses. Als Premier konnte er mit Atomwaffengegnern ebenso reden wie mit Wirtschaftsbossen. Er regierte sowohl mit den Rechtsliberalen als später auch mit den Sozialdemokraten. Seine pragmatische "No-Nonsense-Politik" half dem Land damals aus einer schweren Wirtschaftskrise.

Allerdings hatte seine Kompromiss-Liebe auch Nachteile. Lubbers scheute sich oft vor einer klaren Sprache und drückte sich schwammig aus: "Lubbersch" wurde das genannt.

Der Katholik Lubbers wurde am 7. Mai 1939 als eines von elf Kindern in Rotterdam geboren. Er stammte aus einer Industriellenfamilie. Nach dem Wirtschaftsstudium und dem frühen Tod seines Vaters übernahm er schon als 24-Jähriger die Führung des Familienunternehmens.

Lubbers glänzende politische Karriere begann 1971, als er mit 34 Jahren niederländischer Wirtschaftsminister wurde. Schließlich wurde er 1982 Regierungschef seines Landes.

Noch lange nach seiner aktiven Laufbahn war sein Rat in Den Haag geschätzt. Nicht nur bei seiner eigenen christdemokratischen Partei. Er war auch an den Koalitionsverhandlungen 2006 und 2010 beteiligt.

Nach dem Ausscheiden aus der nationalen Politik wollte sich Lubbers noch auf einem internationalen Posten beweisen. Doch das wurde zunächst ein Debakel. 1994 scheiterte seine Bewerbung für den Posten des EU-Kommissionspräsidenten am Nein des damaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Der hatte Lubbers seine Skepsis gegen die deutsche Wiedervereinigung nicht verziehen.

Ein Jahr später wurde ihm der Posten als NATO-Generalsekretär durch Einspruch der Amerikaner verwehrt. Schließlich wurde der Niederländer 2001 zum Chef des UN-Flüchtlingshochkommissariats berufen.

In dieser Funktion wurde er sehr geschätzt. Und doch endete seine internationale Karriere mit einem Skandal. 2005 musste er wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung von Frauen als UN-Hochkommissar für Flüchtlinge zurücktreten.